Schön und ungezähmt
Höchste unanständig.
Dass es stimmte, half ihm nicht weiter. Er konnte sich nicht gegen die Vorwürfe verteidigen, und was noch gravierender war, Lady Marston schien das zu wissen.
Schließlich versuchte er es nicht einmal. »Meine beiden Brüder sind gute Männer, obwohl ich bei diesem Thema vielleicht voreingenommen sein könnte.« Er hoffte, seine Miene blieb ausdruckslos.
»Sie schätzen Euch auch sehr«, sagte Rebecca, nachdem sie ihrer Mutter einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte.
»Das hoffe ich.« Er lächelte, weil sie ihm zur Seite sprang.
»Nun, Familienmitglieder haben ja die Neigung, gegenüber den Fehlern ihrer Angehörigen blind zu sein, nicht wahr?« Lady Marston blickte ihn verkniffen an. Ihre Bemerkung war so direkt, dass Rebecca ein leises Geräusch von sich gab, wie ein entsetztes Atemholen.
Er hatte sich keine Illusionen darüber gemacht, wie man ihn vermutlich in diesem Haus empfangen würde, aber er hatte wahrscheinlich erwartet, die Kritik könne etwas weniger offen geäußert werden.
»Ja. Andererseits ist es so, dass sie jemanden besser kennen als jeder andere.Viel zu oft liegen die öffentliche Meinung und die Wahrheit über jemandes Charakter weit auseinander«, bemerkte Robert mit monotoner Stimme.
»Das ist wahr«, stimmte Rebecca ihm rasch zu. Zu rasch.
»Vielleicht in einigen Fällen.« Lady Marston schien sich von seinem Kommentar nicht besonders beeindrucken zu lassen. »Aber jedes Gerücht enthält auch ein Körnchen Wahrheit.«
Robert kämpfte gegen den Drang, zur Tür zu schauen. Wo zum Teufel blieb nur Damien?
Wenn er ihr so nah war, konnte er nur an die weiche Linie
von Rebeccas Mund denken. Wie ihre Lippen sich unter seinen anfühlten.Wie sie sich behutsam an ihn klammerte.Wie ihr Haar duftete. Und er sollte verdammt sein, wenn die Art, wie sie ihn anschaute, ihm nicht sagte, dass sie sich ebenso daran erinnerte.
Und es war ziemlich offensichtlich, dass das ihrer Mutter nicht entging.
Rebeccas Mangel an Weltgewandtheit war gleichermaßen befremdlich und doch liebenswert. Einige der Ladys, deren Gesellschaft er gewöhnlich suchte, konnten unter den Augen ihrer Ehemänner aufs Intensivste flirten. Und ja, verflucht, er hatte unter denselben Augen den Flirt erwidert. Andere waren erfahrene Witwen oder Frauen, die ausgehalten wurden. Sie ähnelten jener berüchtigten Lady Rothburg, die einen Leitfaden darüber geschrieben hatte, wie man den eigenen Ehemann zurückgewann, oder ähnlichen Unsinn. Robert suchte keine Bordelle auf, noch bezahlte er eine Mätresse, die ihm jederzeit zur Verfügung stand. Aber ihm hatte es nie an weiblicher Gesellschaft gefehlt, wenn ihm der Sinn danach stand.
Verführung war eine Kunst. Er hatte diese Kunst studiert, hatte seine Techniken verfeinert. Nichts von alledem half ihm jetzt, während er in der gestelzten Atmosphäre eines Salons mit einer unverdorbenen, jungen Lady zusammensaß, die jede Zuvorkommenheit verdiente, jedes blumige Wort und jede romantische Geste, die zu einem anständigen Liebeswerben dazugehörte.
Damien hatte recht: Er konnte Rebecca vermutlich verführen. Ihm kam ihre Einladung zu einem heimlichen Treffen in Rolthven in den Sinn. Aber er hatte diese Gelegenheit verstreichen lassen, und nun würde er wohl nie wieder mit ihr allein sein. Im Übrigen stand er dem Gedanken negativ gegenüber. Einem Besuch im Salon ihrer Eltern zuzustimmen war das eine,
aber Sir Benedict Marstons Tochter zu kompromittieren, bedeutete anschließend einen Gang zur Kirche, mit allem, was dazugehörte … Und warum zum Teufel er sich gerade in Gedanken diesen Vortrag hielt, war ihm ein Rätsel.
Zu seiner grenzenlosen Erleichterung kehrte Damien schließlich zurück, und sie entschuldigten sich hastig. Sobald sie wieder in der Kutsche saßen, bemerkte Robert trocken: »Ich hasse es, deine legendäre Raffinesse zu kritisieren, aber das war ein komplettes Desaster.«
»Wie kommt’s?« Damien fläzte sich auf die Polsterbank ihm gegenüber. Er wirkte von der Eröffnung unbeeindruckt. »Hast wohl das Interesse verloren? Ist die hübsche Rebecca nicht länger an dir interessiert? Nach diesem zärtlichen Kuss hätte ich schwören können …«
»Du hast uns beobachtet?«, unterbrach Robert ihn. Er war nicht sicher, warum ihn diese Erkenntnis so traf.
»Nicht absichtlich, du missmutiger Dummkopf. Ich stand draußen in der Dunkelheit, und ihr wart in einem hell erleuchteten Zimmer. Sogar durch die Vorhänge war offensichtlich, was
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