Schön und ungezähmt
ihm abgewandt.
»Die Enge dieser Veranstaltungen gibt mir immer das Gefühl, langsam zu ersticken«, murmelte er höflich. Da Brianna letztes Jahr zu den Debütantinnen gehört hatte, und da diese junge Dame ihre Freundin war, musste es ihn nicht überraschen, wenn er sie nur flüchtig kannte. Aber gewöhnlich konnte er sich Gesichter und Namen gut merken.
Die Frau ging weiter und wandte noch immer das Gesicht ab, sodass er ihre Gesichtszüge nicht erkennen konnte. Ihr Verhalten war etwas merkwürdig. Sie ging schnell, die Hände im Stoff ihres Kleids geballt, um nicht auf den Saum zu treten. Sie erreichten den Abhang, der in die Gärten führte. Sie nickte. »Ersticken ist wohl das richtige Wort.«
Sie bezog sich nicht auf die Temperatur. Diese Schlussfolgerung ergab sich für ihn daraus, dass in ihrer Stimme leise Abscheu mitschwang. Darum die Eile. Darum waren sie beide vor den Festivitäten im Ballsaal geflohen. Robert konnte ein Lachen nicht unterdrücken. »Es gibt verschiedene Möglichkeiten, warum jemand erstickt, nicht wahr?«
»Ja, die gibt es.«
»Euer Luftmangel ist wohl auf einen beharrlichen Mann zurückzuführen, wage ich zu behaupten.«
Sie nickte und riskierte zum ersten Mal einen kurzen Blick über die Schulter zu ihm.
Nur ein kurzes Drehen ihres Kopfs, dann wandte sie sich abrupt wieder ab. Ihre verräterische Gestik sagte ihm, dass er die junge Frau nervös machte. Es lag nichts auch nur annähernd Kokettes in ihrem Austausch. Ganz im Gegenteil. Und es konnte kein Zweifel bestehen, dass sie ihn erkannte, auch wenn er sich nicht an ihren Namen erinnern konnte.
War er wirklich so ein schwarzes Schaf, dass eine junge Frau keine zehn Schritte in seiner Gesellschaft gehen konnte, ohne sich um ihren Ruf zu sorgen? Es war ein ernüchternder Gedanke, besonders da er davon überzeugt war, dass sie eine der Freundinnen seiner Schwägerin war. Was musste Brianna von ihm denken? Automatisch bot er ihr am Absatz der flachen Stufen seinen Arm, da die junge Frau offenbar beabsichtigte, den Gartenweg einzuschlagen. Sie zögerte kurz, dann legte sie ihre Finger ganz leicht auf seinen Arm.
Diese schmalen Finger zitterten, und als sie den Fuß der Trep- pe erreichten, zog sie ihre Hand überraschend schnell zurück.
Nun gut, er war kein Heiliger, aber er kompromittierte nie junge, unschuldige Damen, darum war sie in seiner Gesellschaft absolut sicher. Er widerstand dem Drang, ihr das zu sagen, zumal ihn ihr Verhalten unerklärlicherweise verwirrte. Von einem Extrem ins andere, dachte er ironisch: erst Marias dreiste Jagd auf ihn, und jetzt diese kleine, zittrige Unschuld, die einem ungewollten Verehrer entkommen wollte und stattdessen ihm über den Weg lief.
Beschattete Wege schlängelten sich durch den Park, eingefasst von Buchsbaumhecken und Rhododendron. Der Abend war für den frühen Herbst nicht allzu frisch. Angesichts der Reaktion seiner Begleiterin auf seine Gegenwart bemerkte Robert kühl: »Vielleicht möchtet Ihr lieber allein weitergehen.«
Das brachte sie endlich dazu, den Kopf zu heben. Sie sah ihn mit riesigen Augen an. »Nein … nein«, stotterte sie. »Überhaupt nicht.«
Er entspannte sich, als sie einen Pfad zur Rechten einschlugen, und musste im nächsten Moment ob seiner Reaktion ein Lachen unterdrücken. Warum zur Hölle kümmerte es ihn, was ein junges – wenngleich hübsches – Mädchen über seine Moralvorstellungen oder den Mangel an diesen dachte? Er verstand sich selbst nicht. Gerüchte und Klatschgeschichten kümmerten ihn nie. Die Meinung seiner Familie und weniger enger Freunde war alles, was zählte. Er glaubte nicht, dass er über Skandale erhaben war – er dachte einfach nicht darüber nach. Die Hälfte dessen, was man über ihn sagte, traf nicht zu, und der Teil, der der Wahrheit entsprach, ging niemanden etwas an außer ihn. Aber wenn Londons Oberschicht weiterhin über ihn redete, gab es wenig, was er dagegen unternehmen konnte. Seit dem zarten Alter von siebzehn, als er die Aufmerksamkeit einer der berühmtesten Schauspielerinnen erregte und sie einen sehr öffentlichen und sehr riskanten Kommentar über sein sexuelles Kön- nen fallen ließ, schien es, als wäre er zu seinem schlechten Ruf verdammt. Damals war er noch jung genug gewesen, um gekränkt zu sein, dass sein Privatleben Futter für die Klatschbasen war. Nicht zu vergessen, dass seine Mutter zu seinem Leidwesen von seiner leidenschaftlichen Affäre erfuhr. Aber all das hatte sich im Laufe der Zeit
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