Schön und ungezähmt
tatsächlich gerade seinem älteren Bruder heftig ins Wort gefallen? Verdammt, diese kurze Begegnung mit Brianna vorhin hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen.
Er ging zur Tür. »Tut mir leid, aber ich hasse solche Veranstaltungen. Sie machen mich nervös. Lass uns nach unten gehen und noch einen Brandy kippen, ehe das hier beginnt. Bist du dabei?«
Wenn die letzte Stunde auch nur ansatzweise so war wie der Rest dieser Hausparty, dann könnte Rebecca von Glück sagen, wenn sie die kommenden fünf Tage überstand, ohne den Verstand zu verlieren.
Sie hatte sich auf die Kante eines bestickten Sofas niedergelassen und balancierte die Teetasse mit unsicherer Hand. Wenn sie die zarte Porzellantasse an den Mund hob, war sie sicher,Tee über ihren Schoß zu verschütten, darum tat sie lieber so, als wäre sie nicht durstig.
Kurz gesagt: Sie täuschte vor, Tee zu trinken, und das war etwas, das eine respektable Engländerin nie tun sollte. Aber sie war es müde, sich den Regeln des Anstands zu unterwerfen. Diese Regeln waren es nämlich, die sie hier festhielten. Sie musste Damien Northfield lauschen, der zwar fast so gut aussehend wie sein jüngerer Bruder war, aber dem es völlig an der Verwegenheit
und dem verruchten Lächeln mangelte, das Robert auszeichnete. Damien war in eine Unterhaltung mit ihrem Vater über den Krieg auf der spanischen Halbinsel vertieft. Auf der anderen Seite des Raums plauderte Robert mit Loretta Newman, einer Witwe, die so attraktiv wie jung war.
Natürlich müssen die Frauen, die ihn interessieren, blond und klein sein und all die anderen Attribute aufweisen, die im Moment so en vogue sind und einem Gentleman gefallen, dachte Rebecca verärgert. Sie beobachtete, wie Robert sich eine Winzigkeit zu sehr nach vorne beugte, um noch schicklich zu sein. Er flüsterte seiner Begleitung etwas ins Ohr. Mrs. Newman lachte und ließ ihre Wimpern aufs Reizendste flattern, dass Rebecca am liebsten die Zähne gefletscht hätte. Worüber sie redeten, konnte sie nicht sagen, aber sie standen seit fünfzehn Minuten in einer heimeligen Ecke, und …
»Miss Marston?«
Verärgert riss sie ihren Blick von Robert los. Damien Northfield blickte sie mit perfekter Gelassenheit an. Er saß direkt neben ihr. Sie stammelte: »Ich... es tut mir leid. Habt Ihr etwas gesagt?«
Lieber Gott im Himmel, hoffentlich hat er mich nicht dabei ertappt, wie ich seinen Bruder angestarrt habe . In seinen Augen lag eine Schärfe, die seine überragende Intelligenz verriet.
»Ich habe mich nur gefragt«, sagte er mit gewähltem, höflichem Ernst, »wie es Euch dieses Jahr in London gefällt?«
Wenigstens war das keine schwierige Frage. »Etwa so sehr wie letztes Jahr«, antwortete sie ehrlich. Er hatte hübsche Augen, bemerkte sie, aber sie waren dunkler und glichen eher einem azurblauen Himmel. Seine klar geschnittenen Northfield-Gesichtszüge wiesen weder Roberts leicht sündig angehauchten Charme
noch Coltons Reserviertheit auf, sondern hatten etwas ganz Besonderes, Eigenes. Etwas Wachsames und Ruhiges.
Ein ritterliches Lächeln umspielte Lord Damiens Lippen. »Ich verstehe.«
Ihr Vater runzelte die Stirn über ihre mehrdeutige Antwort. Sie vermied es, sich zu rechtfertigen, sondern konzentrierte sich lieber auf Roberts älteren Bruder. Bestimmt konnte sie das besser. »Ich meinte damit, dass wie immer ein ziemlicher Trubel herrscht.«
Offensichtlich konnte sie es nicht viel besser.
Lord Damien schien das nichts auszumachen. Er sagte freundlich: »Ich empfinde es auch so. Selbst ohne den Krieg fürchte ich, dass ich etwas zu eigenbrötlerisch bin, um einen Großteil meiner Zeit in London zu verbringen. Robert ist da das völlige Gegenteil.« Er blickte in die Richtung, in der sein Bruder noch immer mit der begehrenswerten Mrs. Newman zusammenstand und mit ihr flirtete.
»Er scheint sich sehr sicher in der Gesellschaft zu bewegen.« Es war eine triviale Bemerkung, und Rebecca wünschte sich inständig, sie könnte einfach ihren Tee trinken, damit ihre Hände beschäftigt waren. Aber sie hatte wirklich Sorge, sie könnte sich mit ihren zitternden Fingern in Verlegenheit bringen.
»Er hat erwähnt, dass Ihr mit ihm bekannt seid.«
Mit dieser Bemerkung hatte er ihre volle Aufmerksamkeit. Wie viel hatte er wohl erwähnt? Ihren Zusammenstoß in der Tür? Die Flucht durch die Gärten? Diesen Beinahe-Kuss, an den sie unablässig denken musste? Sie hoffte, dass Robert seinem Bruder nicht alle Details der Geschichte
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