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SCHÖN!

SCHÖN!

Titel: SCHÖN! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebekka Reinhard
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verpasst sich ständig ein neues Styling . Nach dem Motto: »Zeig mir deine Wollmütze/Sneakers/Apps, und ich sage dir, wer du (momentan) bist.« – »Ich« ist die spezielle Mischung aus dem, was man gerade hat . Einen Audi. Eine schwarze Strähne im Haar. Einen Partner. Ein iPhone. Ein Konto bei Facebook. Wer nach 1980 geboren wurde, wirft meist bloß einen kurzen Blick auf den Facebook-Account eines neuen Bekannten, und schon kann er sich ziemlich genau vorstellen, was ihn erwartet. Die Grenzen zwischen Haben und Sein, Sein und Schein, Realität und Virtualität verschwimmen zusehends. Was von dem, das schön erscheint, ist echt, was unecht?
    Es ist nicht einfach, inmitten der beschleunigten Veränderungsprozesse nicht kopflos, richtungslos, ziellos – Ich-los – zu werden. Vor allem nicht für den modernen Mann. Denn auch die Geschlechterverhältnisse sind nicht mehr das, was sie waren. Der moderne Mann muss hilflos mit ansehen, wie das erstarkte weibliche Ego in Lichtgeschwindigkeit an seinem vorbeizurauschen droht. Ohnmächtig muss er abwarten, bis sich die Frau herablässt zu entscheiden, ob sie nun ein Kind will oder nicht. So sehr er seine Souveränität auch zu bewahren versucht, ständig kommt ihm eine Frau in die Quere. Für den modernen Mann beginnen die Demütigungen bereits im Kindergarten. Keine männlichen Vorbilder weit und breit, nur Erzieherinnen, wohin das Auge reicht. Und hat er sich endlich – nach Mannesart – eine Topposition im Job erkämpft, heißt es: »Pflege deine Soft Skills! Werde kommunikativer, empathischer, sozial kompetenter, aggressionsgehemmter, achtsamer! Sei ein Mann – und benimm dich gefälligst wie eine Frau!« Erwartet seine Partnerin dann tatsächlich ein Kind, steht die härteste Prüfung bevor. Ob er will oder nicht, der moderne Mann muss mit in den Kreißsaal. Was vor Kurzem noch undenkbar war, ist jetzt plötzlich ein must . Plötzlich heißt es: Ein Vater, der keine Windeln wechselt, verdient den Namen nicht.
    Der moderne Mann hat die Wahl, wie er sich gegenüber diesen Erniedrigungen verhalten will. Er kann den Kopf in den Sand stecken – oder sich neu erfinden. Niemand zwingt ihn, sich von den Frauen unterjochen zu lassen. Er kann neue Beziehungen mit alten Partnerinnen eingehen und eine Patchworkfamilie gründen, mit allen wechselnden Vor- und Nachteilen. Er kann sich, wenn er genug von seinem ebenso öden wie unsicheren Controller-Job hat, für Amnesty International engagieren. Oder er kann sein Businessenglisch auffrischen und für ein Jahr nach Indien gehen. Der Mann, der sich von seinen stetig wechselnden Optionen nicht verrückt machen lässt, hat mit Heraklit ( 535 – 475 v. Chr.) erkannt: »Alles fließt.« Nichts dauert an, alles wird neu. Sogar die Männlichkeit. Dauerhaft ist nur das Werden, die stete Erneuerung der Dinge. Wirklich, real, authentisch ist nur das, was nicht aufhört, sich weiterzubewegen.
    Auch die Mode ist nichts anderes als Wandel. Der Mann, der ihr bloß hinterherrennt, ist ein Schaf. Der Mann aber, der mit der Ästhetik (s. Kap. 3 ) der Neuheit spielt, kann ihre existenzielle Bedeutung entdecken. Er kann sie nutzen, um sein Ich (in immer neuen Versionen) zu bewahren und so den dramatischen Veränderungen seiner Zeit Rechnung zu tragen. Die Mode hilft ihm, sein Mann-Sein durch immer neue Stylings zu variieren – und so zu behaupten. Zum Beispiel mit einer Wollmütze. Oder anders: Der moderne Mann, für den Beständigkeit nur in der Veränderung zu haben ist, kann sein »Zuhause« in der Wollmütze finden.
     
    Abb. 4: Werbung von Abercrombie & Fitch
    Aus diesem Zuhause muss natürlich schnell wieder ausgezogen werden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn neuerdings hat sich die Massenmode aufs Enthüllen verlegt. Anstatt den Körper zu kaschieren, stellt sie ihn aus. Daraus folgt: Will Mann modisch sein, muss er ins Fitnessstudio. Denn jetzt ist der perfekt geformte Body selbst der allerletzte Schrei – und das nachlässig darübergeworfene T-Shirt nur ein Accessoire. Noch wichtiger als Shoppen ist daher die Arbeit am eigenen Körper.
    Wollmütze hin oder her: Die oberste modische Pflicht für den Mann heißt Schwitzen. Wer mit hinreichender Disziplin strampelt, kann sich chirurgische Eingriffe sparen. Wer fleißig die Hüften kreisen lässt, braucht kein Korsett. Wer mehrmals in der Woche auf Kommando im Krebsgang den Raum durchmisst, wild mit den Armen rudert, Langhanteln stemmt, Adduktoren und Abduktoren trainiert, wer

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