SCHÖN!
gefährliche Verrenkungen vollzieht, um die maximale isometrische Muskelspannung im Gesäß zu halten, wer sich freiwillig in eine Schenkelanziehermaschine zwängt, kann ruhigen Gewissens bei H&M einkaufen. Zur Überwindung der Natur durch die Mode schrieb Baudelaire:
»Die Mode muss deshalb als ein Zeichen für das Streben nach dem Ideal gelten, das im menschlichen Gehirn alles überdauert, was das natürliche Leben dort an Grobem, Irdischem und Schmutzigem anhäuft, als eine erhabene Deformation der Natur, oder vielmehr als ein dauernder und wiederholter Versuch, die Natur zu reformieren.«
Dabei hatte der französische Philosoph natürlich keinen Indoorcycling-Wütigen im Kopf, sondern die Stilikone seiner Zeit – den Dandy. Das Dandytum ist dem Indoorcycling eigentlich diametral entgegengesetzt: Der Dandy bildet sich viel auf seinen Geist und seine Originalität ein, er ist stilvoll, blasiert und faul; der Indoorcycler hat meist nur wenig Gespür für Eleganz, ist aber umso leistungswilliger. Und doch gibt es eine verblüffende Gemeinsamkeit. Das Dandytum ist wie der Sport eine Art modische Religion, die strenger befolgt werden muss als die »strengste Klosterregel« (Baudelaire). Das Dandytum der Sporthallen lässt nur den perfekten Körper gelten, denn nur der perfekte Körper ist en vogue .
Bis heute gilt Schönheit als Metier der Frauen. Die Mode aber ist auch Sache der Herren – vor allem die Körpermode. Natürlich gibt es immer noch unzählige Männer, die eine schöne Frau haben und einen Bierbauch. Jedem Einzelnen von ihnen muss jedoch klar sein, dass er mit einer solchen Figur einen »Narr(en) außer der Mode« (Kant) darstellt. Dass er un modisch, d. h. unsportlich ist. Will er zukunftsfähig sein, will er zeigen, dass er aus seinem alten schwabbeligen Ich ein neu ge tuntes schöpfen kann, hat er keine Wahl. Er muss anfangen, hart zu trainieren – und er muss sich seiner Körperhaare entledigen.
Abb. 5: Typischer Dandy: Der Schriftsteller Robert de Montesquiou-Fézensac auf einem Gemälde von Giovanni Boldini, 1897
Er muss wissen: Enthaarte »Sixpacks« sind in! Aus evolu tionstheoretischer Sicht kann man das Phänomen des haarlosen Oberkörpers mit dem Hirschgeweih, dem langen Schweif des Witwenvogels oder dem blau-roten Gesäß bestimmter Affen arten vergleichen. Charles Darwin spricht von den »modischen« Ornamentierungen beim Männchen, die die ästhetischen Vorlieben des weiblichen Tiers widerspiegeln. Die beim gegengeschlechtlichen Partner beliebtesten Körpermoden bestimmen die »sexuelle Selektion«; sie sind es, die sich im Laufe der Evolution durchsetzen. Um möglichst viele Nachkommen zu hinterlassen, muss ein Tier seine Reize ausstellen. Es braucht Showtalent. Es braucht einen Laufsteg. Es muss sich bewegen wie ein Topmodel und singen wie ein Superstar, es muss mögliche Partnerinnen mit seinem schmucken Äußeren »erregen und bezaubern« – mehr als seine Konkurrenten es können. Pfauenräder und Hirschgeweihe sind nicht besonders praktisch, aber schön. Das Gleiche gilt für die nackte Haut beim Menschen. In gewissem Maße (so Darwin) ist die Verwandlung des behaarten Affen in den nackten Menschen ein weiteres Beispiel für eine Fortpflanzungszwecken dienende modische Vorliebe – lange bevor Mode zum Bestandteil menschlicher Kultur wurde.
Und damit zurück zu David Beckham. Dieser Mann ist nicht nur wegen seiner Wollmütze eine Modeikone. Sondern auch aufgrund seines haarlos glänzenden, durchtrainierten Oberkörpers, den er bei jeder Gelegenheit in die Kamera streckt. Damit beweist er nicht nur Geschäftssinn, sondern auch Einsicht. Ihm ist klar geworden, dass die Tage des Profisportelns gezählt sind – auch wenn er gern das Gegenteil erzählt. Er hat kapiert, dass er sich in einer Zeit beschleunigten Wandels nicht ewig auf seine fußballerischen Wurzeln berufen kann. Dass er ein zeitgemäßes neues Ich kreieren muss: den Pin-up-Boy, der von überdimensionalen Werbeplakaten mit Schlafzimmerblick zu uns herablinst.
David ist nicht dumm. Er verzichtet auf die Heldenrolle, weil er weiß, dass er damit nicht mehr punkten kann. Seine sorgsam modellierten Muskeln stehen längst nicht mehr für Ausdauer, Kraft und Zähigkeit. Sie sind wie seine Tattoos bloß Dekoration – genau wie die aus Oberschwanzdeckfedern gefertigte Schleppe eines Pfaus. Je mehr sich David aufs Modeln, Posieren und Schönsein beschränkt, desto mehr geraten seine sonstigen Eigenschaften in
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