SCHÖN!
»Eros« draufsteht, ist »Porno« drin. Ist das schön?
Verglichen mit allen anderen menschlichen Schönheiten stellt die pornografische Schönheit einen Sonderfall dar: Sie besteht in der Addition von Körperteilen, die in keinerlei Zusammenhang mit dem Wesen ihres Trägers steht. Die Attraktion der pornografischen Schönheit liegt allein in ihrer schrillen Oberfläche. Sie entfaltet sich nicht subtil und allmählich vor dem Auge des Betrachters, sondern springt ihm dreist ins Gesicht. Das paradigmatische Beispiel ist Daniela »die Katze« Katzenberger , eine in Deutschland zu großem Medienruhm gelangte Kosmetikerin. Die Zutaten ihrer Schönheit sind:
• ca. 150 000 wasserstoffblonde Haare
• 1 Kopf mit hoher, gewölbter Stirn (Inhalt unbekannt)
• 2 auf die Stirn tätowierte Augenbrauen
• 1 Paar pinkfarbene Lippen
• 32 gebleichte Zähne
• 2 melonenförmige Brüste
• 4 sonnenstudiogebräunte Gliedmaßen
• Bonusmaterial: 1 penetranter Ludwigshafener Akzent
Kaum einer ihrer männlichen wie weiblichen 1 530 90 3 Facebook-Anhänger (Stand: Februar 2013 ) interessiert sich für die seelischen Regungen oder den Geist der »Katze«. Mit dem Verkauf von Schuhen, WC-Deckeln mit ihrem Konterfei und eines Buchs über die Vorteile der Dummheit kümmert sie sich geschickt darum, dass das auch so bleibt. Der Triumph katzenbergerscher Oben-ohne-Chuzpe ist exemplarisch für die Normalisierung der Porno-Ästhetik in einer Zeit, in der sich alles um Arbeit, Leistung und Bilanzen dreht. Das heißt nicht, dass nun stündlich mit dem Untergang des Abendlandes zu rechnen ist. Es heißt bloß, dass unser Alltag unaufhaltsam vom Kitsch infiltriert wird. Denn Porno ist nichts anderes als Kitsch.
Abb. 10: Daniela Katzenberger, 2012
Niemand kennt den genauen Ursprung des Begriffs »Kitsch«; vielleicht stammt er von »kitschen«, dem mundartlichen Ausdruck für »Schmutz zusammenscharren, eilig und billig verkaufen«. Kitsch ist der Sammelbegriff für ästhetisch minderwertige Produkte der Kunst und des Kunsthandwerks, des Films (Vom Winde verweht), der Reklame (Paul Potts für Telekom) und des Designs (der Gartenzwerg). Minderwertig sind dabei aber nicht die künstlerischen Techniken, mit denen Kitsch objekte hergestellt werden, wie wir an Daniela Katzenbergers virtuos inszeniertem Sexbomben-Klischee sehen. Was den Kitsch – die Pornografie – minderwertig macht, ist vielmehr seine Falschheit . Das Fundament des Kitsches ist die Lüge, die Illusion. Der Kitsch ist eine Traumwelt, die nichts zu wünschen übrig lässt, in der keine Sehnsucht ungestillt bleibt. In dieser Welt gibt es kein Outsourcing und kein Downsizing. Jeder bekommt ein Upgrade, jeder darf so schön, erfolgreich und reich sein, wie er will. Alle Frauen sind vollbusig und emotional, alle Männer muskulös und unerschrocken. Alle fahren einen Rolls-Royce oder haben zumindest eine Finca. Jeder wandelt andauernd in der Sonne und lächelt permanent. Das ganze Leben ist wahnsinnig lustig (siehe Daniela Katzenberger – natürlich blond, Die Geissens – eine schrecklich glamouröse Familie, über das Jetset-Leben einer Millionärsfamilie und ähnliche vor Kitsch triefende Realitysoaps). Wo sich Höhepunkt an Höhe punkt reiht, schwebt man, unbehelligt von Problemen, von einer Erregung zur nächsten. Kreisch!
Das Kitschige an der Pornografie bzw. das Pornografische am Kitsch besteht aber nicht nur in der Lügenhaftigkeit, sondern auch im vorfabrizierten Effekt . Wer sich von kitschiger Pornoästhetik verzaubern lässt, fühlt nicht mehr selbst – er lässt sich vorschreiben , was er zu fühlen hat. Was für Daniela Katzenbergers melonenförmige Brüste gilt, gilt auch für die Plüschtiere, die in den Geschenkeshops von Flughäfen feilge boten werden: Sie lassen dem Verbraucher keine Wahl. Er muss fühlen, was er fühlt (Plüschtiere → Sentimentalität bzw. Brüste → sexuelle Stimulation). Wenn wir, völlig ausgepowert, zwi schen zwei Langstreckenflügen einen Teddybären in die Hand nehmen, erliegen wir leicht der Illusion, dieses flauschige Etwas könne über die Härte der globalisierten Arbeitswelt hinwegtrösten. Kaum haben wir (in sentimentalen Gedanken an unsere lang vergangene Kindheit) verstohlen ein, zwei Tränen verdrückt, ist das unbeseelte Ding auch schon bezahlt und eingetütet. Kitschobjekte verlangen rein gar nichts von ihrem Besitzer: Sobald ihr Charme verblasst ist, kann man sie ohne Gewissensbisse entsorgen. Die »Sexiness« von
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