SCHÖN!
zu Flughafen jettet. Was bei der Haarpflege der Halt, ist im Leben die Haltung – ein bei jeder Witterung gleichbleibender Zustand. Die schönste Frisur fällt in sich zusammen, wenn sie nicht die richtige Pflege erfährt. Die schönste Frau kann unattraktiv wirken, wenn sie in schwierigen Zeiten keine Haltung zeigt. Wenn sie den ihr zugeteilten Herausforderungen mutlos begegnet, ohne ein Gespür dafür, was ihre Persönlichkeit ausmacht und was ihr wirklich wichtig ist. Haltung ist die Voraussetzung für Anmut und Stil. Ihre Basis ist die Ethik. Das altgriechische Wort für Ethik ist ethos , das zwei Grundbedeutungen hat: erstens Gewohnheit und zweitens Charakter. Beides zusammengenommen meint: Wer sich daran gewöhnt, aus Einsicht und Überlegung das zu tun, was in moralischer Hinsicht erforderlich ist – nämlich besonnen, vernünftig, mutig und gerecht zu handeln – sorgt dafür, dass sich diese Gewohnheit zu einer Grundhaltung verfestigt. Das Schöne braucht das Gute, um nicht von Arroganz, Dumm heit, Feigheit oder Verzweiflung entstellt zu werden. Denn das Leben ist kein Wellnessurlaub. Das Leben selbst macht nicht schön. Viele berufliche und private Umstände sind alles andere als vorteilhaft für unser Aussehen. Ohne eine entsprechende innere Haltung würden wir ständig weinen, wütend, ängstlich und verkrampft sein, oder, genauso schlimm, in uns zusam menfallen und uns langweilen. Nicht umsonst legten die stoi schen Philosophen so großen Wert auf Beherrschung und Mäßigung. Der Stoiker Epiktet (ca. 5 0 – 125 n. Chr.) (s. Kap. 7 ) schrieb: »Wenn du dich also zu einem solchen (beherrschten) Menschen entwickelst, wirst du sicherlich schön werden. Solange du dies jedoch vernachlässigst, bleibst du notwendigerweise hässlich, auch wenn du mit noch so vielen Künsten versuchst, schön zu erscheinen.«
Der stoische Kaiser-Philosoph Marc Aurel ( 121 – 180 n. Chr.) fasste sich kürzer: »Man soll aufrecht stehen, ohne aufrecht gehalten zu werden.«
Menschen, deren äußere Schönheit sich nach und nach in innere Haltung verwandelt, bleiben ein Leben lang attraktiv. Ihre Haltung triumphiert über das Hässliche in ihrem Leben. Sie können kleinere Frustrationen weglächeln, weil sie ein Gespür für die wirklich wichtigen Dinge entwickelt haben. Und wirklich wichtig ist nur, was jenseits der Sorge um das eigene Aussehen liegt: aus sich selbst einen guten, glücklichen Menschen zu machen, der die Welt am Ende etwas weiser verlassen kann, als er sie betreten hat.
Wer schön sein will, muss lernen. Denn die äußere Attraktivität lebt von der geistig-seelischen Schönheit, und dies wird umso klarer, je mehr (Lebens-)Zeit vergeht. Schönheit besitzt man nicht, man ist schön.
Was »schön« im Einzelnen bedeutet, wird im wirklichen Leben meist nicht von Chirurgen, Kosmetikern, Ästhetikern und anderen Experten entschieden. Sondern von Liebenden. In der Realität liegt Schönheit oft weder im Auge des einen noch des anderen Betrachters, sondern im Blickwechsel zweier Menschen. Mit anderen Worten: in der gegenseitigen erotischen Anziehung. Aber was ist eigentlich Erotik? Was hat sie mit innerer Schönheit zu tun – und was mit seelischer Krankheit? → Teil II
II Seele
II
Seele
»Das Schöne fesselt uns,
aber das Schönste befreit uns von uns selbst.«
Khalil Gibran
4 Eros vs. Porno:
Warum wir Schönheit begehren
Immanuel Kant, der große Aufklärer und Rationalist, klammerte strikt aus, was über das Vergnügen der reinen Kontemplation hinausgeht: Begehren, Verlangen, Gier nach dem Schönen. Er bestand darauf, die ästhetische Lust eines Menschen als »ganz gleichgültig« und »ohne alles Interesse« zu beschreiben (s. Kap. 3 ): »Ein jeder muss eingestehen, dass dasjenige Urteil über Schönheit, worin sich das mindeste Interesse mengt, sehr parteilich und kein reines Geschmacksurteil sei«, behauptete er.
Triebhaftigkeit hat im Rahmen von Kants »kastriertem Hedonismus« (Theodor W. Adorno) keinen Platz. Das Motiv hierfür liegt auf der Hand: Nichts bringt die Herrschaft des kühl urteilenden Verstandes schneller zu Fall als der animalische Drang nach Schönheit. Liebe ist aufgrund des ihr eigenen erotischen Trachtens die natürliche Feindin zweckfreier Kontem plation. Nichts ist parteilicher und distanzloser als das Interesse eines/einer Liebenden an der Attraktivität des/der Geliebten. Wenn ein Mann sich in eine Frau verliebt, ist sie seine Venus, egal, wie sie aussieht. Weder
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