SCHÖN!
und Trompetensignalen, nicht an ihrer Physiognomie. Echnaton und Ludwig XIV. identifizierten sich mit der Sonne, die alles sichtbar macht, aber selbst nicht angeschaut werden kann. Seit der Erfindung von Funk, Fernsehen und Internet ist es genau umgekehrt. Das heutige Herrschaftsprivileg besteht darin, von einer Horde Unsichtbarer angeglotzt – bzw. angeklickt – zu werden. Prominenz (von lateinisch pro-minere für vorspringen, hervorragen) entsteht nunmehr auf Basis von Einschaltquoten und »Gefällt mir!«-Bewertungen. Selbst gefertigte Doktorarbeiten und andere heroische Taten sind nicht zwingend erforderlich. Wohl aber ein gepflegtes Äußeres, ein sicheres Auftreten, eine überzeugende Gestik, kurz: die perfekte Selbstvermarktung.
Der Unternehmer und ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der weite Teile der Medienlandschaft seines Landes kontrolliert und damit immensen politischen Einfluss ausübt, hat dieses Prinzip wie kein anderer ad absurdum geführt. Unter den Begeisterungsstürmen seiner Anhänger gelang es Berlusconi, einem hellwachen, permanent lächelnden, knusprig braunen älteren Herrn, sein Land in erstaunlichem Ausmaße herunterzuwirtschaften. 2001 verschickt er an unzählige italienische Haushalte das kostenlose Magazin »Una storia italiana« (»Eine italienische Geschichte«), in dem es nur ein einziges Thema gibt: Berlusconi. In dem reich bebilderten Heft zeigt sich »Il Cavaliere« (ein Ehrentitel für den Träger eines italienischen Verdienstordens) in seinen Lieblingsrollen: Silvio mit Frau, Kindern und Hunden; Silvio, an einer Blüte schnuppernd; Silvio auf dem Roten Platz; Silvio im Ohrenbackensessel, Platon, Augustinus und Meister Eckhart lesend; Silvio unter jubelnden Parteianhängern; Silvio, den Champions-League-Pokal des FC Mailand schwingend; Silvio als Talkshowgast seiner eigenen TV-Sendungen.
2003 zieht sich Berlusconi aufgrund vorübergehender politischer Misserfolge in eine Schweizer Privatklinik zurück. Anfang 2004 tritt der bekennende Mussolini-Fan, chirurgisch generalüberholt, vor die Kameras, um ausgiebig zu posieren und die anwesenden Journalisten herauszufordern: »Findet ihr mich nicht schön?«
Es folgen unzählige Presseberichte über das Martyrium, das der Ministerpräsident zum Wohle der Nation über sich ergehen hat lassen. Schließlich hat sich Berlusconi nicht zum Spaß unters Messer gelegt und mithilfe einer Spezialdiät zehn Kilo verloren, sondern, wie er sagt, um einer politischen Erneuerung willen. Damit lenkt er nicht bloß von seinem eigentlichen (unerfüllt gebliebenen) politischen Auftrag ab, er ersetzt die Politik einfach durch die Imagepflege: »Ein politischer Leader hat die Pflicht, sein eigenes Bild zu erneuern … Er hat die Verpflichtung, sich fürs Fernsehen schöner und frischer zu machen.«
Die Frage ist nicht, ob es noch dreister geht. Die Frage ist: Wie viel Berlusconianismus steckt in einem Coaching, das »charismatische Potenzialoptimierung« verspricht?
Zwar haben auch die Seminaranbieter längst erkannt: Attraktiv werden wir nicht durch die Imagepflege, sondern indem wir werden, was wir sind. In Trainings zum Thema »Authentizität« können wir allerdings bloß lernen, wie wir »glaubwürdig und interessant wirken « – nicht, was es heißt, glaubwürdig und interessant zu sein . Dazu bräuchte es das Gegenteil eines hirnlosen Rollenspiels: Nachdenklichkeit.
Für die deutsch-jüdische Philosophin Hannah Arendt ( 190 6 – 1975 ) ist der Mensch im Idealfall nicht nur ein »sprachbegabtes Tier« (ein zoon logikon, wie Aristoteles schrieb), sondern eine Person – das heißt ein Wesen, das Ereignisse und Sachverhalte gewohnheitsmäßig mit sich selbst durchdenkt und durchspricht: »Niemand kann sich an das erinnern, was er nicht durchdachte, indem er darüber mit sich selbst gesprochen hat«, heißt es in Arendts nachgelassener Vorlesung Über das Böse.
Für Arendt hat Persönlichkeit nichts mit Begabung oder Intelligenz zu tun – Persönlichkeit ist schlicht das »Ergebnis von Nachdenklichkeit«. Wer sich nicht kritische Gedanken darüber macht, womit er sein Geld verdient, mit welchen Freunden er sich umgibt, wem er traut (und welche Seminare er besucht), verliert sein Person-Sein. Wer bei dem, was er tut, sein Gewissen nicht einschaltet, ist nicht. Er ist weder unaufmerksam noch unehrlich, er ist – als verantwortungsbewusste Person – überhaupt nicht vorhanden. Er wird zu einer Attrappe. Zu einem
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