SCHÖN!
Komödianten, der das Person-Sein nur spielt.
Ohne Erinnerung keine Reue. Wer zielorientiert, aber gleich gültig gegenüber dem Vergangenen vor sich hin werkelt, kann sich nicht schuldig fühlen. Wofür auch? Dass er neunhundert Euro hingeblättert hat, um zu lernen, wie man sich »in die Köpfe der Menschen« redet? Wo strategisches Denken dominiert, ist Moral fehl am Platz. Wo es nichts wirklich Wichtiges gibt, an das man sich erinnern müsste, fällt es leicht, über Leichen zu gehen.
Das Böse beginnt also nicht erst bei Hitler oder Jones, son dern streng genommen schon bei »Menschen, die sich weigern, Personen zu sein« (Hannah Arendt). Bei fehlender Nachdenk lichkeit. Bei der Gewissenlosigkeit, mit der sich Leute zu »Größen« stilisieren.
In einer Zeit, die von uns verlangt, aus uns selbst eine Marke zu machen, ist es eine Herausforderung, einfach nur wir selbst zu sein: Personen, keine hohlen Nüsse. Nur: Wenn wir uns um der »Authentizität« willen selbst plagiieren, verwandeln wir uns ganz und gar nicht in charismatische Persönlichkeiten. Wir machen uns nur der Lüge schuldig.
Es ist leicht, Menschen als etwas sehen zu wollen, was sie oft nicht sind: »schön«. Es ist auch leicht, dem zu glauben, der ein schönes, geordnetes, sinnvolles Leben verspricht. Aber es kann sehr gefährlich werden. Muss das schöne Leben eine Utopie bleiben? Oder gibt es jenseits aller Illusionen doch einen Weg, es zu verwirklichen? → Kapitel 7
»Hässlichkeit schändet nicht die Seele,
aber eine schöne Seele adelt den Leib.«
Seneca
Über die Seelenpflege –
Gebrauchsanweisung II
Sein und Schein sind selten deckungsgleich. Was gut aussieht, muss nicht unbedingt gut sein. Der Philosoph Xenophon (ca. 430 – 354 v. Chr.), ein Zeitgenosse des Sokrates, nahm das, was die Philosophen der Antike kalogathia (s. Kap. 1 ) nannten – die perfekte Übereinstimmung von Schönheit und Güte – kritisch unter die Lupe. In seinem Werk Oikonomikos kam er zu dem Ergebnis, dass eine solche Identität doch eine allzu idealistische Vorstellung sei. Jedenfalls, so Xenophon, sei sie gerade da nicht immer vorhanden, wo man sie zuallererst vermuten würde:
»(Ich suchte) zuerst die Schönen auf und versuchte herauszubekommen, ob mit ihnen auch das Gute zusammenhinge. Aber es verhielt sich leider nicht so, sondern ich musste erkennen, dass einige körperlich Schöne ganz jämmerliche Seelen hatten. Daher meinte ich, es wäre besser, die äußerliche Schönheit nicht zu beachten, sondern direkt zu denen zu gehen, die man charakterlich für vollkommen hielt.«
Kurz: Ein guter Mensch ist immer irgendwie »schön« – aber ein schöner, attraktiver, charismatischer Mensch nicht immer »gut«. Nicht nur theoretisch, sondern auch ganz konkret: Unter den Charismatikern (von Showstars bis Spitzenpolitikern) gibt es seit jeher eine ganze Menge kranker Seelen, bei denen es mit dem moralischen Empfinden nicht weit her ist.
Als philosophischer Topos hatte das Ideal der Einheit von Körper und Seele allerdings lange Zeit Hochkonjunktur. Schon Sokrates meinte, durch den schönen Körper eines Menschen schienen dessen gute und liebenswerte Eigenschaften gleichsam hindurch. Ganz ähnlich sah es der neuplatonische Denker Plotin (ca. 204 – 270 n. Chr.), der in der Bewegung der edlen Seele die Ursache eines glanzvollen, strahlenden Äußeren zu erkennen glaubte. Sehr viel später, im 18 . Jahrhundert, nahmen der Dichter Christoph Martin Wieland ( 173 3 – 1813 ) und der Poet und Philosoph Friedrich Schiller ( 1759 – 1805 ) diesen Gedanken wieder auf. Für Schiller war die »schöne Seele« ein Mensch mit Charakter. Einer, der nicht erst lange herumüberlegt, ob er sich moralisch verhalten soll, sondern für den es eine Selbstverständlichkeit ist, Gutes zu tun: »In einer schönen Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonieren, und Grazie ist ihr Ausdruck in der Erscheinung«, heißt es in Schillers Schrift Über Anmut und Würde .
Im Spätkapitalismus, der dem schönen Äußeren quasi reflex artig den Vorrang gegenüber der inneren Schönheit einräumt, haben Schiller und Co. natürlich keine Chance. Die »moralische Schönheit« lässt sich nicht zu Geld machen. Sie ist kein Machtfaktor. Wohl aber der Anschein von Integrität, Vernunft und Edelmut. Wenn wir unserer Karriere neuen Schwung verleihen wollen, rät man uns folgerichtig, statt auf die Philosophie lieber auf die Imagepflege zu vertrauen. Bei
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