Schönbuchrauschen
gedacht. Aber dein Chef sieht das bedauerlicherweise anders.«
»Was weißt denn du von meinem Chef?«
»Halt, was mein Chef von deinem Chef weiß. Für den Staatsforst ist ja keiner so richtig zuständig, und da der Tote in Böblingen gewohnt hat, ist es doch nur logisch, dass der Fall in deine kundigen Hände gelegt wird.«
»Fein, wie ihr den bei mir abladet, wirklich fein.«
»Was heißt abladen? Wir sind, wie gesagt, für den Staatsforst nicht zuständig, und fürs LKA ist der Fall eine Nummer zu klein.«
»Aha! Und wenn er eine Nummer größer wäre, dann würdet ihr alle Hände danach ausstrecken«, sagte Kupfer sarkastisch.
»Absolut nicht. Wir sind durchaus ausgelastet.«
»Natürlich, nur ihr. Und wir sitzen hier herum und drehen Däumchen?«
»Jetzt reg dich nicht auf, das ist ungesund in deinem Alter. Denk lieber daran, dass der Tatort etwas total Romantisches an sich hat. Das hat man nicht immer.«
»Dann gönn doch du dir die Waldesluft, wenn du das so toll findest.«
»Haben wir doch schon, und zur Genüge. Jetzt sei nicht so ablehnend, Siggi. Das ist jetzt schlicht und einfach dein Fall. Da beißt die Maus keinen Faden ab.« Er ließ eine Pause entstehen. »Unter anderem« – er kicherte –, »weil du so gut bist.«
»Hör bloß auf! Verarschen kann ich mich selber.«
»Ich zitiere nur meinen Chef. Wie du siehst, hast du sogar im Regierungsbezirk Tübingen einen guten Ruf.«
»Der mir nichts einbringt. Zu viel der Ehre! Eine Beförderung wäre mir lieber. Schnaidt, mir stinkt’s. Aber wenn auf höherer Ebene so entschieden worden ist …«
»Na, endlich kannst du dich für den Fall erwärmen. Das ist auch gut so, weil du durch den Fundort schon zuständig bist. Der Tote saß zwar im Staatsforst, aber gleichzeitig auch im Kreis Böblingen.«
»Das hättest du aber auch gleich sagen können«, sagte Kupfer verärgert.
»Jetzt gönn mir doch ein bisschen Spaß.«
»Immer, wenn es nicht auf meine Kosten ist.«
»Sei nicht sauer, Siggi. Zur Entschädigung kriegst du mit diesem Mord einen interessanten Fall auf den Tisch.«
»Eindeutig ein Mordfall?«
»Mehr als eindeutig. Man könnte fast von Doppelmord an einem einzigen Opfer reden. Die Täterin, es war mit großer Wahrscheinlichkeit eine Frau, hat ihr Opfer mindestens eineinhalb Mal umgebracht, wenn nicht sogar zweimal. Wirst schon sehen, Aktion Overkill.«
»Na dann tausend Dank. Ich hoffe, dass ich mich bald mit einer richtig verzwickten Geschichte bei dir revanchieren kann.«
»Musst du nicht. Gerne gönnen wir dir den toten Wanderer im Wiesengrund.«
»Die unangenehme Verpflichtung habt ihr mir aber hoffentlich abgenommen.«
»Hmm?«
»Tu nicht so ahnungslos, die Benachrichtigung der Angehörigen.«
»Nein, das konnten wir leider nicht, es war nämlich so …«
»Das ist ja das Letzte! Versuch erst gar nicht, dich rauszureden. Vielen Dank!«
»Siggi, halt, beruhige dich, wir wissen erst seit gestern Abend, wer der Tote ist, und so spät wollten wir nicht …«
»Mach mir doch nichts vor. Ihr habt euch halt gedrückt. Ende.«
Kupfer legte auf.
Als Paula Kussmaul das Büro betrat, saß Kupfer versonnen da. Er hatte die Ellbogen aufgestützt, hielt seinen Kopf in beiden Händen und las in einer Akte. Die steilen Falten über seiner Nasenwurzel zeigten seine Verstimmung an.
»Was ist mit Ihnen heute?«
»Mir stinkt’s.«
Jetzt erst bemerkte er, dass seine Schreibkraft mit einer dünnen Akte in der Hand unschlüssig in der Mitte des Büros stehen geblieben war. Er sah sie fragend an.
»Was haben Sie da?«
»Das wollte ich Ihnen gerade auf den Tisch legen. Die Unterlagen über Ihren neuen Fall. Das kam vor einer halben Stunde per Fax herein.«
Verkrampft und stumm schaute Kupfer in eine andere Ecke und streckte ihr seine offene Hand entgegen. Mit einem ironisch klingenden »Bitte sehr!« und einem Hofknicks, den er leider gar nicht sah, übergab sie ihm den Ordner.
»Vielleicht sorgt diese Materie für bessere Luft hier, Waldesluft«, sagte sie halblaut vor sich hin, womit sie Kupfer diesmal erreichte. Er räusperte sich laut, ohne sie anzusehen.
»Kaffeepause«, sagte er dann und ging hinaus.
Als er nach einer Weile zurückkam, schien sich seine Laune leicht gebessert zu haben. Er griff zum Telefon und rief OW an.
»Dein Toter liegt auf meinem Schreibtisch«, sagte er ohne Begrüßung.
»Hast du dann noch Platz zum Arbeiten?«, fragte OW lachend.
»Es geht gerade noch.«
»Das finde ich gut, dass du den Fall
Weitere Kostenlose Bücher