Schönbuchrauschen
K.-o.-Tropfen.«
»Das ist doch die Höhe. Das gehört doch verboten.«
»Das sagen Sie mal unseren Politikern. Es muss irgend so ein Scheißgesetz geben, das den Verkauf erlaubt. Ich halt’s im Kopf nicht aus! Jeder weiß, was mit dem Gift laufend angerichtet wird, und trotzdem schreitet der Gesetzgeber nicht ein. Unfassbar!«
Paula fragte nichts. Sie nahm nur ihren Kopfhörer ab und schaute ihren Chef an. Wie sie ihn kannte, musste er jetzt über den Fall reden, um Dampf abzulassen. Jeder neue Fall rief bei ihm zunächst Emotionen wach, die er abreagieren musste, damit er den Kopf für die präzisen Überlegungen frei bekam, für die er unter seinen Kollegen bekannt war.
»Können Sie sich das vorstellen, dass eine Frau einen Mann mit K.-o.-Tropfen wehrlos macht und ihn dann mit Insulin abspritzt? Und das am helllichten Tag im Wald? Was muss das für ein kaltschnäuziges Weibsstück sein!«
»Geht das denn so schnell?«
»Das wundert mich auch. Laut Obduktionsbericht war auch noch Alkohol im Spiel. Trotzdem muss sie ihm eine Mordsdosis verpasst haben.«
»Und wo ist das passiert?«
»Mitten im Schönbuch. Ungefähr auf halber Strecke zwischen Herrenberg und Bebenhausen. An der Neuen Brücke. Sind Sie da schon einmal gewesen?«
»Klar, die Gegend kenn ich gut. Da waren wir schon ein paar Mal bei unserer traditionellen Maiwanderung. Da ist’s schön, auch wenn es dort sonntags manchmal vor Leut’ wimmelt.«
»Aber nicht im November. Jetzt ist es absolut ruhig dort unten, vor allem mitten in der Woche. Dieses Weibsstück kennt sich offensichtlich im Schönbuch aus. Und ihr Opfer ging auch gerne wandern. Das muss sie gewusst haben. Sonst hätte sie den doch nie dorthingekriegt.«
»Und sie muss gewusst haben, dass er gerne einen über den Durst trinkt. Wenn wir an der Neuen Brücke gevespert haben, hat’s nie Bier gegeben. Da wird man doch bloß müde und muss noch ein paar Kilometer laufen. Das Bier trinkt man erst in Bebenhausen oder im Naturfreundehaus bei Herrenberg, falls man das Tal heraufwandert.«
»Hmm, dann war der Tote wohl ein Schluckspecht.«
»Wahrscheinlich. Und auch das hat die gewusst. Ob die ein Paar waren?«
»Das glaube ich nicht. Bei Beziehungstaten spielt immer der Affekt eine große Rolle. Und hier nicht, das war eiskaltes Kalkül. Dieses heimtückische Weib hatte einen genauen Plan. Die wusste ganz genau, was sie vorhatte.« Er ballte die Fäuste und biss die Zähne zusammen. »Aber die krieg ich, und wenn’s das Letzte ist, was ich tu.«
»Weiß man schon, wer der Tote ist?«
»Ja, nur ist er noch nicht offiziell identifiziert. Da gibt es nur die Mutter. Und ausgerechnet ich muss die arme Frau benachrichtigen. Die lieben Kollegen hatten noch keine Zeit dazu.«
»Und wann …?«
»Die Frau arbeitet beim Daimler. Die kann ich erst nach Feierabend erreichen.«
6
Es war schon dunkel, als Kupfer am Ortsrand von Döffingen aus seinem Auto stieg. Ein erleuchtetes Fenster im Erdgeschoss des kleinen Hauses ließ darauf schließen, dass die Bewohnerin daheim war. Zehn Schritte über Waschbetonplatten, und Kupfer stand vor der Haustür. Er hatte den Finger fast auf dem Klingelknopf, als er im Schein der Straßenlaterne das kleine Schild mitten auf der Haustür las: »Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein.« Es war mit einem Herz und einem Glücksschweinchen verziert. Er zögerte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf, wobei er pfeifend den Atem durch die Nase ausströmen ließ, und klingelte.
Eine vollschlanke Frau in einem braunen Hausanzug öffnete und schaute ihn durch ihre dunkel gerahmte Brille kritisch an. Ihr Gruß – »Guten Abend« – klang wie eine Frage.
»Guten Abend«, sagte Kupfer. »Sind Sie Frau Krumm?«
»Ja. Was wollen Sie?« Die Frage klang misstrauisch.
»Es handelt sich um Theo Krumm. Sie sind doch seine Mutter?«
Sie nickte und schaute erschrocken zu Kupfer auf. Sie blinzelte nervös.
»Mein Name ist Kupfer. Ich komme von der Kriminalpolizei Böblingen.«
Der Frau blieb der Mund offen stehen. Ihr Kinn zitterte.
»Was ist? Ist ihm was passiert? Erst fragen seine Kollegen, wo er ist, und jetzt kommen Sie!«
»Können wir nicht hineingehen?«
Sie drehte sich wortlos um und winkte Kupfer, ihr zu folgen.
»Was ist? Ist ihm was passiert?«, wiederholte sie verängstigt.
»Frau Krumm, es tut mir leid. Ihr Sohn ist tot. Mein aufrichtiges Beileid.«
Sie sank auf einem Stuhl zusammen und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
»Er wurde vor zwei
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