Schönbuchrauschen
doch bekommen hast. Ich war schon ein bisschen sauer. Erst versaut mir dieser Tote meine Radtour, und dann höre ich kaum etwas von ihm. Ich sagte heute schon zu Emma, dass er mir wie ein unerwarteter Besucher vorkommt, der einem einen Feiertag versaut und sich hinterher nicht einmal mehr meldet.«
»Du scheinst ja deinen Schrecken gut weggesteckt zu haben.«
»Klar. Ich habe ja schon Schlimmeres erlebt. Unsere Zeitung brachte übrigens nur einen kurzen Artikel darüber, dass ein gewisser Otto W. im Schönbuch einen Toten gefunden habe, und sonst nichts.«
»Hätten Sie denn deinen Namen ausschreiben sollen?«
»Willst du mich auf den Arm nehmen? Auf diese Publicity kann ich wirklich verzichten. Ich könnte ja nicht mehr in der Stadt herumlaufen, ohne an jeder Ecke angesprochen zu werden. ›Sind Sie nicht der Mann, der wo die Leiche gefunden hat? Sind Sie da nicht erschrocken?‹ Darauf kann ich verzichten, ehrlich! Aber ich hoffe jetzt, dass du mir mehr erzählst, sozusagen als Entschädigung für die versaute Tour.«
»Hoffen darfst du immer.«
»Ich will doch nur wissen, was das für ein Typ war und wie er dorthin gekommen ist. Ich werde auch nichts herumposaunen.«
»Was das für ein Typ war, möchte ich auch gerne wissen. Aber ich habe die Akte noch nicht lesen können. Und dieser Schmieröl-Fall ist noch lange nicht abgeschlossen.«
»Dann wisch das Schmieröl trotzdem vom Schreibtisch und lies mal schnell. Am Wochenende könnten wir ja zusammen eine Flasche Wein trinken. Kommt doch am Samstag zu uns. Um deiner Überlastung etwas abzugewinnen, könnten wir doch immerhin die Duplizität der Fälle begießen.«
Kupfer verstand ihn nicht gleich.
»Hmm?«
»Die Duplizität der Fälle. Ich habe die Leiche gefunden und du bearbeitest den Fall, wie gehabt.«
»Du hörst dich so freudig erregt an wie ein Hobbyarchäologe, der einen Kessel voller Goldmünzen gefunden hat. Verrohst du mir noch auf deine alten Tage?«
»Keine Angst, das glaube ich kaum. Und wenn, dann wäre es nur wegen meines Umgangs mit dir.«
»Emma wird schon auf dich aufpassen. Da fällt mir ein, dass ich dich noch gar nicht gefragt habe, ob du dir jetzt auch so ein Fahrrad kaufen willst.«
»Ich denke schon, obwohl das ja absolut keine normale Probefahrt war. Du kannst deines am Wochenende wieder mitnehmen. Nochmals vielen Dank!«
Kupfer brütete über dem neuen Fall. Paula Kussmaul war mit einem Bericht beschäftigt, den sie vom Diktaphon abschrieb. Sie trug Kopfhörer und war bei dieser Arbeit normalerweise nicht aus dem Konzept zu bringen.
Heute aber schaute sie immer wieder von ihrer Arbeit auf und warf einen forschenden Blick zu Kupfer hinüber. Jeder neue Fall brachte ihr die Abwechslung, die sie an diesem Job schätzte. In der Industrie würde sie ja viel mehr verdienen, aber »Autoreifen bleiben Autoreifen und Badezimmerarmaturen halt Badezimmerarmaturen, um nur ein Beispiel zu nennen«, sagte sie immer wieder. Da müsste sie ja laufend die Stelle wechseln, wenn sie etwas Abwechslung haben wollte. Das sei bei der Kriminalpolizei, Gott sei’s gedankt, doch völlig anders, denn jeder Verbrecher sei ein Mensch für sich, ein Individuum, und die Menschen, Gott sei’s gedankt, seien alle verschieden. Das alleine würde sie noch ein paar Jährchen bei der Stange halten, auch wenn sie nächstes Jahr schon sechzig würde und, finanziell gesehen, eigentlich zu Hause bleiben könnte.
Sie lauerte darauf, dass Kupfer seine dünne Akte zuklappen und mit einer seiner sarkastischen Bemerkungen auf den Tisch werfen würde. Dies markierte immer den Zeitpunkt, in dem sie am meisten über einen neuen Fall erfahren konnte. Nur schien das heute nicht wie gewöhnlich zu laufen. Kupfer las schon eine Weile nicht mehr, sondern starrte blicklos auf die Akte und schwieg. Dann wandte er sich seinem Monitor zu, klickte ein paar Mal mit der Maus und las. Und dann erst kam endlich die erlösende Bemerkung.
»Das darf einfach nicht wahr sein. Frau Kussmaul, wissen Sie, was K.-o.-Tropfen sind?«
»Klar. Deswegen sag ich doch zu meiner Nichte immer, sie soll in der Disko ja auf ihr Glas aufpassen oder am besten gar nichts trinken. Warum?«
»Wo würden Sie das Zeug kaufen?«
»Weiß ich doch nicht. Im offenen Handel kriegt man die Tropfen sicher nicht.«
»Da sind Sie aber auf dem Holzweg. Hier, bei Ebay. 50 Milliliter für 15 Euro, ganz öffentlich und ungeschützt.«
»Und wie nennen die das Zeug?«
»K.-o.-Tropfen, plump und frech
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