Schönbuchrauschen
einen Deal einlassen.«
»Klingt einleuchtend«, sagte Kupfer zögerlich.
»Aber du glaubst es trotzdem nicht?«
»Doch. So weit schon. Mir reicht es nur noch nicht ganz als Motiv.«
Mit diesen Ergebnissen hatte sich Kupfer dem Staatsanwalt gegenüber völlig rehabilitiert. Mehr noch sogar: Dr. Klöppner konnte sich sogar ein Lob abringen und ließ sofort nach Judith Schwenk fahnden. Spuren von ihr ließen sich finden. Sie war als Stipendiatin der VW-Stiftung in Harvard eingeschrieben und hatte in Cambridge, Massachusetts, ein Ein-Zimmer-Appartement gemietet. Dort war sie allerdings seit Wochen nicht mehr angetroffen worden. Nachforschungen bei den Fluglinien, die in Frage kamen, hatten ergeben, dass sie in der ersten Novemberwoche von New York nach Stuttgart geflogen war. Eine Woche später nahm sie einen Flug von Stuttgart nach Zürich. Noch ein paar Tage später war sie das letzte Mal in Cambridge, Massachusetts, gesehen worden und seither verschwunden.
»Seltsam. Wie vom Erdboden verschluckt«, kommentierte Kupfer dieses Ergebnis.
»Na ja, wer über Geld verfügt, kann sich falsche Papiere machen lassen«, mutmaßte Feinäugle.
»Gut möglich. Ausreisen ist bei den Amis bestimmt einfacher als Einreisen. Und bei uns hier haben sie vielleicht nicht gut aufgepasst.«
»Wenn sie überhaupt nach Deutschland gekommen ist.«
»Tja, wenn man das wüsste.«
Im Handgranatenfall tat sich nichts Entscheidendes. Alle Indizien sprachen gegen Lemgruber und Drescher. Da waren zunächst die zahlreichen Anrufe auf Krajics Handy, die Krajics Aussagen glaubhaft erscheinen ließen. An den Waffenlieferungen gab es also keinen Zweifel. Die chemische Analyse des KTU hatte ergeben, dass der Kupferdraht aus Lemgrubers Garage von derselben Zusammensetzung war wie der, der bei dem Anschlag benutzt worden war.
»Solchen Draht können Sie in tausend anderen Garagen auch finden«, verteidigte sich Lemgruber, als Kupfer ihm dieses Indiz vorhielt.
»Stimmt schon«, versuchte Kupfer ihn zu verunsichern, »aber es könnte trotzdem sein, dass sich dieses Drahtstückchen als kleines Glied in eine längere Beweiskette einfügen lässt. Wenn es eine andere Zusammensetzung hätte, würde es für Sie sprechen. So aber spricht es gegen Sie.«
»Wenn Sie sowieso schon alles wissen, brauche ich Ihnen nichts mehr zu sagen«, antwortete Lemgruber verstockt und schwieg von da an.
Drescher seinerseits bestand darauf, dass er nichts anderes getan habe als Krajic für jeweils zehn Euro einen kleinen Gefallen zu erweisen, über dessen Sinn und Zweck er nie nachgedacht habe. Er wurde aus der U-Haft entlassen und nahm seine Arbeit an der Kaffeetheke wieder auf.
So ging das Jahr seinem Ende entgegen.
»Ich befürchte, wir nehmen diesen Fall mit ins neue Jahr hinüber«, sagte Kupfer etwas resigniert, und so war es auch.
Dritter Teil
1
Das neue Jahr begann trüb und mild. Der Winter ließ noch immer auf sich warten, wenn er überhaupt kommen würde. Statt einer Sonne, die vom klaren Himmel auf eine frostige Schneelandschaft schien, zeigten sich nur dicke graue Wolken. Schmutziges Graubraun überzog die Landschaft, und mancher Mittag war so düster wie ein Nebelabend im November.
Das Wetter drückte auf OWs Stimmung. Gegen seine sonstige Gewohnheit ging er kaum aus dem Haus. Sein neues Fahrrad stand im Keller, und er fragte sich manchmal, warum er es überhaupt gekauft hatte. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, es auch im Winter zu benutzen, vorausgesetzt, dass es nicht glatt war. Und nun war von Glätte nichts zu sehen, und trotzdem verstaubte das neue Rad im Keller. Zum Einkaufen fuhr er mit dem Auto, obwohl er es anders geplant hatte. Es zog ihn einfach nicht hinaus. Wenn die Tage so trüb waren, setzte er sich lieber neben seine Leselampe und schmökerte.
Dann aber, Mitte Januar, noch dazu an einem Tag, an dem man endlich wieder ein Stück blauen Himmel sehen konnte, las er einen Zeitungsartikel, der ihn aufrüttelte.
Lockruf der Bucheckern. Masseninvasion von Bergfinken aus Nordeuropa im Goldersbachtal
hieß es da. Millionen von Bergfinken aus Skandinavien und der Taiga seien in den Schönbuch eingefallen und ernährten sich von den Bucheckern, die im Herbst reichlich von den Buchen abgefallen waren und mangels Schnee offen auf dem Laub lagen, stellenweise wie ein rotbrauner Teppich. Die Vögel verteilten sich tagsüber, sammelten sich aber vor Einbruch der Dunkelheit, wenn sie zu ihren Schlafplätzen zurückkehrten, zu riesigen Schwärmen,
Weitere Kostenlose Bücher