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Schoene Bescherung

Schoene Bescherung

Titel: Schoene Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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verschmiert. Kein Atem mehr. Tot! Zumindest sah es so aus, als ob jegliches Leben aus ihr entwichen wäre. Und nie mehr wieder zurückkommen würde.
    Nichts wie raus hier, dachte Plotek. Im Mund hatte er einen säuerlichen, brennenden Geschmack, sein Magen rebellierte noch immer und die Stirn pochte jetzt so schmerzhaft, als ob sein Herz verrutscht wäre. Er stand schneller auf, als sein Zustand es erlaubte, und hörte im gleichen Augenblick das Geräusch der Chipkarte an der Zimmertür. Es kam jemand. Plotek löschte das Licht, schwankte zum Fenster und stellte sich hinter den zugezogenen Vorhang. Seine Knie zitterten, er schwitzte. Vor den Augen helle Blitze und schwarze Punkte. Er schwankte und musste sich am Fenstersims festhalten, um nicht umzufallen.
    Die Tür ging auf. Schlurfende Schritte waren zu hören. Dann ging ein Licht an. Aber kein entsetzter Schrei, auch kein daran anschließender hysterischer Weinkrampf waren zu hören. Nichts dergleichen. Nur Stille. Als ob die Person die Luft anhalten und sich den tragischen Sachverhalt ruhig und sachlich betrachten würde. Ploteks Schwanken hinter dem Vorhang wurde jetzt stärker. Seine Schweißdrüsen arbeiteten auf Hochtouren, quasi schweißtreibender Akkord. Das Hemd klebte ihm auf der Haut und unter den Achseln sammelte sich das Angstsekret in kleinen Pfützen, die immer größer wurden, bis sie tellergroße Flecken auf dem Hemd hinterließen. Er roch sich jetzt selbst, trotz des Gestanks im Zimmer. Die Blitze vor den Augen wurden zum Feuerwerk. Bloß nicht kollabieren, dachte er und dann an etwas Schönes. Das hilft manchmal. Er stand mit zitternden Knien und zusammengekniffenen Arschbacken hinter dem Vorhang im Zimmer einer Leiche und dachte an zum Teil schon länger zurückliegende erotische Abenteuer. Mit Agnes. An die schönen Stunden mit ihr im Rosengarten in München. Bilder schamloser Sinnlichkeit, Lust und Leidenschaft traten ihm jetzt vor die Augen, während sich, keine zwei Meter von ihm entfernt, eine tote Frau bereits mit dem ersten Stadium der Verwesung auseinander setzte. Aber trotz Amore keine Besserung. Dachte er eben an was ganz anderes, soll heißen: Weg mit dem selbst auferlegten Dogmatismus, unkonventionelle Wege sind gefragt. Bedeutet: Wenn gedanklich eine Sackgasse kommt, einfach abbiegen! Konkret: Er gab sich weit zurückliegenden Theatererfolgen hin. Er dachte an Castrop-Rauxel, Esslingen, Bremerhaven. An Memmingen. Irgendwann in den neunziger Jahren. Molière, er, Don Juan: Ach! Wir werden doch nicht an das Unheil denken, das uns zustoßen mag; denken wir lieber an das, was uns Vergnügen bereiten kann . . . Aber vergiss es! Aussichtslos. Kein Gedanke half – selbst der unkonventionellste nicht. Die Sackgasse war überall. Also eher Gegenteil: Sein Körper schwächelte immer mehr. Bis plötzlich eine Stimme die stickige Stille durchbrach.
    »Diese Drecksau!« Es war Marie-Louise.
    Jetzt aber schnell, schnell, dachte Plotek hinterm Vorhang. Aber denkste. Keine Hektik, keine Eile war Marie-Louise anzumerken. Sie bückte sich so langsam, als ob sie alle Zeit dieser Welt hätte, und tastete unter dem Schrank herum. Dann doch noch Hektik. Dann ein Schrei.
    »FUCK!« So laut, so schrill, dass Ploteks Nackenhärchen wieder strammstanden. Jetzt schmunzelte er hinter dem dicken Vorhangstoff in sich hinein. Und dann, doch noch, Hysterie pur. Marie-Louise rannte laut um Hilfe rufend aus dem Zimmer, als ob nicht nur der Großmutter, sondern auch ihr nicht mehr zu helfen gewesen wäre. Falsches Aas, hinterhältiges Luder, dachte Plotek, oder gute Schauspielerin. Auch er legte keinen gesteigerten Wert mehr darauf, länger hinter dem Vorhang zu verweilen. Mit der Plastiktüte in der Hand schlich er sich, noch immer mit zitternden Knien und völlig durchnässt, aus dem Zimmer. Gerade noch rechtzeitig, bevor Marie-Louise weinend und aufgelöst mit dem Hotelpersonal im Schlepptau zurück war.
    Wieder in seinem Zimmer, wurde es Plotek dann endgültig schummrig im Kopf. Er betrachtete im Spiegel die Platzwunde, sah das Blut und wurde ohnmächtig. Plotek konnte vieles ertragen: brutale Gewalt, Ekliges, Widerliches. Auch Frauenleichen, unansehnliche, alte Frauenleichen, zerquetschte Zwerghasen und Matschbirnen. Aber Blut, noch dazu das eigene, zog ihm leicht den Boden unter den Füßen weg. Wie jetzt – aber nur kurzzeitig. Als er die Augen wieder aufschlug, lag er neben dem Sessel auf dem Teppichboden und guckte zum Kronleuchter hoch, der verschwommen

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