Schöne Khadija
Wenn ja, konnte sie wahrscheinlich tausendmal mehr Sterne sehen als ich.
Aber es war derselbe Mond.
Als ich mich umdrehte, winkte mich Dad zu sich, um mir die Aufnahme zu zeigen. »Das ist gut«, meint er. »Ich mache dir einen Abzug, wenn du magst.«
Er hatte mich nicht direkt fotografiert, sondern das Fenster, in dem mein Gesicht gespiegelt war. Es schien, als schwebte ich geisterhaft blass und durchscheinend am Nachthimmel, wie der Mond. Es war wirklich ein schönes Bild.
Aber das Gesicht war immer noch meines. Kantig und blass, von kleinen Löckchen umgeben.
»Ich sehe aus wie eine Kuh«, fand ich. »Eine Charolais.«
Dad schnitt eine Grimasse. »Die meisten Leute ziehen Kühe Giraffen vor.«
»Nicht in Somalia. Da geht nichts über Kamele.«
Endlich hatte ich ihn zum Lachen gebracht. »Dann wirst du da drüben nie ein Star.« Er tätschelte mir die Wange. »Geh ins Bett, Freya. Du bist
wunderschön.«
A uch Mahmoud hatte ein Bild.
Es war ein Bild seiner Schwester Geri, wie sie im Auto ihres Vaters davonfuhr. Sie drehte sich um, winkte ihnen zu und lächelte strahlend. Er sah es ganz deutlich durch den Staub, den das Auto aufwirbelte.
Es war kein richtiges Bild, denn es existierte nur in seinem Kopf, aber es blieb immer gleich. Immer, wenn er an Geri dachte, sah er sie lächeln und winken, trotz allem, was in den Monaten nach ihrem Weggang geschah.
Sie lächelte, als die Dürre die Weiden vertrocknen ließ, sie lächelte, als sie die Ziegen und Schafe verkaufen mussten, um Futter für die Kamele zu besorgen.
Und sie lächelte immer noch, als die Kamele zu sterben begannen.
Die Dürre brachte sie um. Die Brunnen trockneten einer nach dem anderen aus, im ganzen Land, durch das sie zogen. Und wenn sie manchmal Wasser fanden, dann waren dort andere Leute, die Anspruch darauf erhoben, um ihre eigenen Tiere zu retten.
Mahmouds Onkel beobachteten den ganzen Tag den Himmel, in der Hoffnung, Regen zu finden. Jeden Abend saßen sie am Feuer und besprachen, wohin sie gehen sollten. Aber die Antwort war nie leicht.
Sie zogen eine ganze Woche ohne Wasser weiter, um an den letzten Ort zu gelangen, wo sie es versuchen konnten. Mahmoud lief bei den Ziegen mit und schon lange, bevor sie die Quelle erreichten, wusste er, dass es sinnlos war. Der Boden war trocken und staubig und seine Onkel standen zusammen um das Loch herum und schüttelten die Köpfe. Mahmoud sah, wie seine Mutter die Schultern anspannte und sich bereit machte, die schweren Bündel weiter zu tragen.
Kein Wasser.
Was sollten sie nur tun?
An diesem Abend saßen sie wieder zusammen und ihre Gespräche kreisten wie immer um dieselben hoffnungslosen Vorstellungen. Aber ihre Worte waren so leer wie das Wasserloch, denn sie wussten bereits alle, was sie tun mussten. Sonst würden sie sterben und austrocknen wie alte Dornbüsche.
Wenn sie nicht sehr bald Wasser fanden, mussten sie aufgeben und von den bekannten Plätzen fortziehen. Sie würden ins Lager gehen und um Essen bitten müssen.
Als sie bei uns ankam, war Khadija sehr still. Ich glaube, sie bemühte sich in der Schule, Englisch zu lernen, aber dort sah ich sie nicht viel. Meistens war sie mit den anderen Mädchen aus Somalia zusammen – aber immer am Rand der Gruppe. Und zu Hause half sie Maamo sehr fleißig. In den ersten sechs Monaten sprach sie kaum mit mir.
Und dann hörten wir von der Dürre in Somalia.
Nicht in den Fernsehnachrichten natürlich. Wenn man danach ging, existierte Somalia kaum. Aber im Internet gibt es spezielle Seiten mit Nachrichten aus Somalia und ein paar der alten Leute lesen sie täglich. Sie kommen in Sulimans Café, reden und trinken Kaffee und versuchen herauszufinden, was vor sich geht. Und dann erzählen sie es uns anderen.
Immer wenn ich zur Moschee ging, hörte ich, wie schlimm die Dürre war. Die Leute klangen besorgt und ernst, aber sie sprachen zu schnell miteinander, sodass ich nicht alles verstehen konnte, und ich machte mir nicht die Mühe, selbst die Nachrichten zu lesen.
Natürlich ist es traurig, wenn dein Land in Schwierigkeiten steckt, aber Somalia besteht sowieso zum größten Teil aus Wüste. Das wissen alle. Und seit ich denken kann, hieß es, dass der Regen ausbleibt, was war also dieses Mal so schlimm daran? Ich verstand das nicht.
Nicht, bis Khadija mich bat, sie zu Sulimans Café mitzunehmen.
Normalerweise benutzen wir die Computer in der Schule, weil man dort umsonst ins Internet kann. Aber an diesem Freitag waren alle
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