Schöne Khadija
Zeichnungen auf dem Schreibtisch aus. Abdi sah sie sich an, aber ich hatte etwas anderes entdeckt.
An der Wand hinter Stefans Tisch hing eine lange Tafel mit Bildern und Stoffmustern. Das waren vertraute Dinge, die den Schmerz, den ich unten verspürt hatte, noch vertieften. Ich erkannte den langen Schwung eines Giraffenhalses, schwarz und weiß auf ein gelbes StückPapier gezeichnet. Und zwei Fotografien von Nomadenhäusern an einer staubigen Straße. Was hatten solche Dinge im Atelier einer Modedesignerin verloren? Ich ging um den Tisch herum, um mir anzusehen, was sonst noch an der Tafel hing.
Da war ein Stück verblichener blauer Stoff, wie vom Segel einer alten Dhau.
Ein geschnitzter Holzkamm und eine Bernsteinkette an einem Stück Kordel.
Ein Fächer aus rosa Wiedehopffedern mit schwarz-weißen Spitzen.
Ein heller Baumwollschal über einer Ecke der Tafel.
Alles war sorgfältig arrangiert, sodass die Formen ineinander übergingen und die Farben miteinander harmonierten. Dem Schal entströmte ein schwacher Geruch nach Weihrauch. Ich nahm eine Ecke hoch, sog den Duft ein und dachte daran, wie meiner Mutter einmal das Tuch vom Kopf gerutscht war, als sie sich über den Weihrauchtopf gebeugt hatte und sich der Duft in ihren Haaren fing.
Der Geruch zog an meinem Herzen. »Somalia«, sagte ich leise zu Abdi.
Er verstand mich nicht. Wie sollte er auch, wenn er noch nie in Somalia gewesen war? Er hatte noch nie in der Wüste unter den Sternen gesessen und den Duft des Weihrauchs eingeatmet, während jemand begann, alte, bekannte Geschichten zu erzählen.
Es war einmal ein Mann, der hatte drei Frauen …
Sandy konnte wohl auch kaum wissen, was ich meinte, aber ihr Gesicht leuchtete vor Aufregung auf. »Das ist richtig«, sagte sie. »Das ist aus Somalia. Verstehst du jetzt?«
Ich wusste nicht, was ich verstehen sollte. Aber eines war mir klar, so wie sie ihre Tafel ansah.
Sie hatte sich in mein Land verliebt. Und sie hatte gesehen, wie schön es war.
Ich war seit Wochen nicht mehr im Atelier gewesen, daher sah ich Sandys Somalia-Stimmungstafel zum ersten Mal. Ehrlich gesagt – sie war peinlich. Es war kaum etwas zu sehen. Nur ein Foto von einem Flüchtlingslager, die grobe Zeichnung eines Kamels (in hässlicher schwarzer Kreide), ein Haufen Federn und billiger Schmuck und ein paar bunte Secondhandstofffetzen, die nicht einmal sauber waren.
Was sollte denn daran inspirierend sein?
Abdi ging es offensichtlich ebenso. Er warf nur einen unbeteiligten Blick auf die Tafel und sah sich dann weiter Stefans Zeichnungen an. Aber er sagte nichts.
Wenn ich wie Khadija an einen fremden Ort gekommen wäre, hätte ich tausend Fragen gestellt. Zum Beispiel über den Kleiderständer in der Werkstatt unten. Wenn man nicht weiß, dass das nur Prototypen sind, an denen man die Entwürfe testet, bevor jemand teure Stoffe zerschneidet, wundert man sich normalerweise. Warum haben sie alle dieselbe Farbe? Warum sind sie nicht fertig? Das sind die Fragen, die Khadija hätte stellen sollen. Aber das einzige Wort, was sie sagte, war Somalia .
Ich glaube, auch Stefan war verwirrt. Er sah, wie Abdi die Entwürfe betrachtete, und es war eindeutig, dass sie ihm überhaupt nichts sagten. Aber immer noch kamen keine Fragen.
Stefan neigte sich zu mir und flüsterte verschwörerisch: »Haben die beiden eine Ahnung, was sich Sandy vorstellt? Von ihrer Kollektion?« Er hat eine Art, eine Augenbraue hochzuziehen, bei der sein ganzes Gesicht zu einem einzigen Fragezeichen wird.
Ich schüttelte den Kopf. »Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der das wirklich weiß.«
Das Fragezeichen wich einem Ausdruck heller Freude. »Es ist ein wunderschönes Konzept. Einfach und schön.« Er nahm seinen Stift und begann wieder zu zeichnen, aber ich sah, dass er aus dem Augenwinkel Khadija im Blick behielt, als sei sie die Inkarnation von Sandys wunderbarem Konzept.
Khadija betrachtete die alberne Stimmungstafel lange Zeit. Als sie sich umdrehte, lächelte Sandy. »Genug gesehen?«
»Das ist schön«, sagte Khadija. »Ich mag diese Dinge.«
»Also … wirst du für mich arbeiten?«, fragte Sandy. »Wenn ich dich brauche?«
Abdi hob den Blick von den Zeichnungen. »Das haben wir noch nicht entschieden«, sagte er. »Werden Sie sie bezahlen?«
Stefan runzelte die bleiche Stirn, als ob er etwas Ungehöriges gehört hätte, aber ich erinnerte mich daran, was Khadija im Café gesagt hatte, und es kam mir nur vernünftig vor, dass
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