Schöne Khadija
Minuten später kam sie zurück, die Hände voller bunter Stoffe.
»Das ist besser«, sagte sie zu Freya.
Ich erkannte es sofort und sah auch, dass es – nach dem Muster, der Stoffqualität und der sorgfältigen Art, wie es gefaltet war, zu urteilen – das beste Kleid einer Frau für besondere Tage war.
Freya starrte es nur an. »Was will sie?«, fragte sie leise. »Was soll ich tun?«
»Sie leiht dir bessere Kleidung«, erklärte ich. »Das ist sehr freundlich von ihr. Du musst sie anziehen.«
»Aber … wie denn?«
Zum ersten Mal erlebte ich Freya unsicher. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und berührte das Kleid, das Nhur ausbreitete.
»Wir helfen dir«, bot ich ihr an. »Zieh mal diese ganzen warmen, engen Sachen aus.«
Ich musste sie erst eine Weile überreden, aber am Ende tat sie es doch. Und dann mussten wir sie anziehen wie ein kleines Kind. Sie hielt still, während wir ihr das Kleid über den Kopf zogen und die Hände durch die Ärmel schoben. Als Nhur das große Kopftuch nahm, um es ihr um den Kopf zu legen, wurde es peinlich.
» Das soll ich tragen?«, erschrak Freya und trat einen Schritt zurück.
Nhur runzelte die Stirn. »Sie muss den Kopf bedecken«, erklärte sie auf Somali. »Weiß sie denn nicht, dass die Sonne sie krank machen kann?«
»Doch, das weiß sie«, erwiderte ich. »Aber sie hat da so ein paar komische, abergläubische Vorstellungen. Einen Augenblick bitte.« Kopfschüttelnd wandte ich mich auf Englisch an Freya. »Ich weiß, wasdu denkst … aber in Somalia ist das anders. Das Kopftuch ist das Beste, was du tragen kannst. Bitte versuch es.«
Freya sah es misstrauisch an. »Ich weiß nicht …«
» Bitte «, wiederholte ich. Ich konnte nicht ertragen, dass sie wieder diesen schrecklichen, schweißtreibenden Hut trug.
Freya streckte die Hand aus und berührte das Material.
»Na gut«, gab sie schließlich nach. »Aber ihr müsst mir zeigen, wie man es anlegt.«
Ich legte es ihr über den Kopf und um die Schultern und zeigte ihr, wo sie die Nadeln einstecken musste, wenn sie sie brauchte. Dann trat ich zurück und zog ihr das Kleid gerade.
»Und jetzt versuch mal zu gehen«, verlangte ich.
Das Haus war so klein, dass sie nur ein paar Schritte machen konnte, aber ich sah, wie sich ihr Gesicht veränderte, als sie den Luftzug von dem langen Rock verspürte, der ihr um die Beine schwang. Auch Nhur sah es und lächelte.
»Und jetzt mache ich Tee«, erklärte sie.
Nhur hielt mich offensichtlich für eine Vollidiotin. Als sie mir den Tee reichte, hielt sie die Hand über die Tasse und warnte mich: »Heiß! Sehr heiß!«
Aber ich ärgerte mich nicht, weil sie so nett und freundlich war. Und außerdem hatte ich mich ja wirklich ziemlich dämlich angestellt. Ich komme mit dem heißen Klima einfach nicht klar. Kein Wunder, bei meiner hellen Haut.
Aber es hatte keinen Sinn, zu lamentieren. Ich war hier in Somalia und das hatte ich nur mir allein zu verdanken. Also finde dich damit ab, Freya, und mach das Beste daraus. Ich setzte mich zwischen Nhur und Khadija auf den Boden (nicht einmal hinhocken konnte ich mich richtig), nippte an meinem Tee und kam mir unglaublich ausländisch und fremd vor.
Khadija wandte sich zu mir und fragte leise: »Möchtest du vielleicht eine Geschichte hören? Eine der Frauen hat mir gesagt, dass Nhur die beste Geschichtenerzählerin des Dorfes ist.« Sie sagte es, als sei es ein besonderes Geschenk.
Ich hätte gerne Ja gesagt, aber es kam mir zu kompliziert vor. »Du müsstest alles für mich übersetzen.«
»Das macht mir nichts aus«, antwortete Khadija. »Ich möchte gerne, dass du eine unserer Geschichten hörst.«
Sie nickte Nhur zu und sagte leise etwas zu ihr.
Nhur nickte ebenfalls und schloss einen Moment die Augen. Als es ganz still wurde, begann sie zu sprechen und hielt nach jedem Satzinne, damit Khadija übersetzen konnte. Kein Drumherum. Nur die beiden Stimmen, die abwechselnd sprachen.
Es war einmal ein Mann, der hatte drei Frauen. Sie waren alle sehr eifersüchtig und fragten ihren Mann ständig, welche von ihnen er am meisten liebte …
Geschichten gehen einem unter die Haut, nicht wahr? Ich legte die Hände um die Tasse und senkte den Kopf, sodass mein Gesicht verdeckt war.
Der Mann versuchte, sie hinzuhalten, aber sie bohrten und stichelten immer weiter. »Welche von uns liebst du am meisten …?«
Draußen konnte ich Suliman mit ein paar Männern reden hören. Es wurde rau gelacht und ich nahm an, dass sie ihn
Weitere Kostenlose Bücher