Schöne Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
sagt?“
„Das war eine Kunstbewegung, so zwischen den Weltkri e gen“, schaltete sich Fabian ein. „Es gab mal eine tolle Ausste l lung in der Neuen Nationalgalerie.“
Warburg war beeindruckt. „Ja, da bin ich auch erst auf den Trichter gekommen. Ich habe Kunst nicht studiert, ich bin A u todidakt.“
Lisa sah sich die Skulpturen im Raum an. „Und das ist Neue Sachlichkeit ? Sieht eher aus wie eine Mischung aus Er o tikon und Gruselkabinett.“
Warburg lachte. „Nun, das waren damals hauptsächlich Maler. Otto Dix sagt Ihnen vielleicht was? George Grosz?“
Die Frage ging an Lisa, die schnell ihr Gedächtnis durc h kramte.
„Otto Dix… ja, da klingelt was. Dieses Bild von den Ka r tenspielern, die total verkrüppelt sind?“
„Richtig“, nickte Warburg, und während er aus beiden E i mern zwei Flüssigkeiten in einen großen Becher goss und z u sammenrührte, gab er eine kleine Abhandlung. „Das ist sein bekanntestes Werk, und es ist, wie Ihr Kollege bemerkte, in voller Schönheit in der Neuen Nationalgalerie zu sehen, z u sammen mit einigen anderen bedeutenden Werken der Neuen Sachlichkeit . Die haben nicht abstrakt gemalt, aber auch nicht absolut naturalistisch. Stattdessen haben Sie die Wirklichkeit bis zur Kenntlichkeit entstellt – das ist eine fürchterlich lan g weilige, abgedroschene Phrase, aber als die das gemacht h a ben, war sie neu und absolut zutreffend. Im Grunde waren es hochwertige Karikaturen. Aber das meiste waren Gemälde, und ich hab angefangen, die dritte Dimension hinzuzufügen. “
Er platzierte seinen Penis, Verzeihung, seinen Nacktmull in einem kleinen Plastikkasten.
„Sie brauchen einen Rahmen. Ich mach’s jetzt mal einf a cher, normalerweise muss man da noch mit Ton arbeiten, aber ich kann das hinterher ordentlich nachholen, Sie wollen ja nur das Prinzip sehen, stimmt’s?“
Und so goss er das verrührte, flüssige Silikon, das einen den beiden Ermittlern wohlvertrauten Grünton hatte, über den Penis. Den Nacktmull.
„Ich mach’s nur zur Hälfte“, erklärte er. „Jetzt müssen wir zehn Minuten warten.“
Sie verbrachten die Wartezeit, um sich etwas über Mike Warburgs Werdegang erzählen zu lassen. Er stammte aus Be r lin, allerdings war sein Dialekt nur mini malistisch. Er hatte Tischler gelernt, hatte sich aber schnell der Kunst zugewandt. Er war nie ein Intellektueller und unterschied sich so stark von den meisten Menschen, die ihr Unwesen in Berliner Ateliers trieben. Er hatte den Anspruch, Kunst fürs Volk zu machen. Es sollte ein Lebensunterhalt sein, er wollte nicht ewig um Fö r dergelder betteln.
Fabian mochte ihn immer mehr, genau wie Lisa. Dennoch war natürlich nicht zu übersehen, dass sie hier ein Problem hatten: Der mutmaßliche Mörder von Thomas Sieber hatte aus diesem Haus heraus mit seinem Opfer Kontakt gehabt, und Mike Warburg ging routinemäßig mit dem Material um, das im Bett des Opfers gefunden worden war.
Lisa hatte sich inzwischen in eine kleine Skulptur verliebt, die sie in einem der Regale entdeckt hatte. Es war eine Katze, und sie sah ihrer Katze sehr ähnlich, mit der Ausnahme, dass dieses Tier ein diabolisches Grinsen im Gesicht hatte und den Eindruck erweckte, es könne Gedan ken lesen. Es war dadurch ein n och perfekteres Porträt ihres Hausgenossen, als jedes F o to es vermocht hätte.
„ Wie viel muss ich für die Katze anlegen?“ fragte sie.
„Sagen wir 200 Euro.“
„Ui.“
„Das ist Bronze, ich kann’s ja nicht verschenken. Sie kri e gen sie für 180, wenn Sie versprechen, mich niemals zu ve r haften.“
„Gebongt“, grinste Lisa, „können Sie sie mir zurücklegen, die Kohle hab ich jetzt grad nicht da.“
Fabian sah sie erstaunt an.
„Ist für meine Eltern, 35. Hochzeitstag“, erklärte sie. „Wenn ich beiden was schenke, erwarten sie nicht so viel zum Geburtstag. Ich denke sehr wirtschaftlich.“
Mittlerweile war das S ilikon erstarrt. Mit Hilfe einer Art Fischmesser bearbeitete Warburg die Form, löste die Skulptur heraus und legte sie beiseite. Kurz darauf präsentierte er den Ermittlern die Silikonform in zwei Hälften. Einen perfekten A b druck hatte der Nacktmull hinterlassen, zumindest die Hälfte davon.
„Sehen Sie?“
Fabian nahm die beiden Formen in die Hand. Sie waren glatt und nachgiebig. Dann betrachtete er die Arbeitsplatte und schließlich den Künstler.
„Sie haben ein bisschen gekleckert“, stellte er fest.
Warburg wischte sich einige Krümel Silikon vom
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