Schöne Lügen: Roman (German Edition)
fragte sie gespannt.
Schon bevor Lance sie eingeschüchtert und ihr befohlen hatte, mit niemandem über Kens Abwesenheit zu sprechen, hatte sie sich entschieden, ihre Freunde nicht mit ihren Sorgen zu belasten. »Ja, ich habe ihn gefunden«, antwortete sie statt dessen. »Oder wenigstens habe ich seine Frau gefunden, die mich mit offenen Armen willkommen geheißen hat. Ken ist für ein paar Tage auf Reisen.«
»Willst du damit sagen, daß er noch gar nichts von dir weiß?«
»Nein. Wir wollen ihn überraschen.« Schnell wechselte Erin das Thema. »Wie stehen die Dinge bei euch? Gibt es irgend eine größere Katastrophe, von der ich wissen sollte?«
»Nein, nur ein paar kleinere, doch die haben wir schon bereinigt. Entspann dich und gönn dir eine schöne Zeit.«
»Betty, vielleicht bleibe ich länger hier als geplant. Ich erwarte von dir und auch von den anderen, daß ihr die Firma so führt, als sei ich anwesend. Ich bin überzeugt, das schafft ihr. Aber wenn es irgendwelche Fragen gibt oder wenn etwas Ungewöhnliches passiert, dann ruft mich bitte an.«
Betty hielt einen Augenblick inne, dann fragte sie: »Bist du sicher, daß alles in Ordnung ist?«
»Aber ja, ganz bestimmt«, log Erin. Sie gab Betty Melanies Telefonnummer, dann unterhielt sie sich mit Betty noch über das Wetter und über die Gesundheit aller Mitarbeiter und legte den Hörer schließlich auf.
Während sie ihre Koffer auspackte, fragte sie sich nochmals, ob ihre Entscheidung richtig war. Hätte sie am
Ende doch zu ihrer Firma und ihrem Leben in Houston zurückkehren und alles vergessen sollen, was seit der Ankunft hier in San Francisco geschehen war?
Nein, sie schüttelte den Kopf. Sie konnte ihren Bruder und auch Melanie nicht im Stich lassen, wo sie die beiden gerade erst gefunden hatte. Ihre Schwägerin verließ sich jetzt auf sie, und sie hatte die Absicht, dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen, ganz gleich, welche Unannehmlichkeiten sie dafür auf sich nehmen mußte, einschließlich Lance Barrett.
Den Rest des Nachmittags verbrachte sie in Melanies Gesellschaft, stundenlang unterhielten sie sich über Ken. Melanie wußte eine ganze Menge von seinem Leben, bevor er sie kennengelernt hatte, und Erin vermutete, daß die beiden eine sehr glückliche Beziehung zueinander hatten. Deshalb schien ihr die Tatsache, daß er das Geld gestohlen und seine Frau ohne ein Wort verlassen hatte, nicht stimmig zu sein. Das alles war viel zu konträr, um darin einen Sinn zu finden.
Sie gingen durch den Hof und den Garten. Melanie war zu Recht stolz auf ihren Blumengarten, den sie mit großem Eifer versorgte. Sie nannte Erin jeden einzelnen Busch mit Namen, erklärte ihr, wann sie ihn beschnitt, wann sie düngte und wie oft sie goß. Erin meinte, daß der Garten im Frühling ein Blütenmeer sein müsse, und Melanie strahlte glücklich.
Es ist erstaunlich, dachte Erin, daß diese junge Frau, die mit einem silbernen Löffel im Mund geboren war, so viel Freude daran hatte zu kochen, ihr Haus und ihren Garten in Ordnung zu halten und den Lebensstil ihrer Eltern mit Country-Clubs und Partys ablehnte.
An diesem Abend backte Melanie zum Abendessen eine köstliche Quiche, die sie zusammen in der Küche aßen.
Lance und Mike hatten die Einladung zum Abendessen dankend abgelehnt, obwohl Melanie zu bedenken gab, daß sie für zwei Personen viel zuviel gekocht hätte.
Erst spät am folgenden Morgen sah Erin Lance wieder, und das war auch eher ein Zufall. Sie hatte Schwierigkeiten, den Reißverschluß ihres blauen Wollkleides zu schließen. Der weiche Stoff hatte sich in den Zähnchen verfangen, und ganz gleich, was sie auch versuchte, der Reißverschluß bewegte sich keinen Zentimeter. Sie war gerade auf dem Weg zu Melanie, um sie um Hilfe zu bitten, als sie im Flur mit Lance zusammenstieß.
»Oh!« rief sie überrascht und stellte sich stramm mit dem Rücken zur Wand, damit er ihren nackten Rücken nicht sah.
»Hi«, begrüßte er sie, ihr Zusammentreffen hatte ihn nicht minder verlegen gemacht.
»Hi.«
»Ich … äh … ich bin hier heraufgekommen, um für Mrs. Lyman eine kaputte Glühbirne auszuwechseln.«
»Oh.« Erin fühlte sich schrecklich albern, wie sie mit dem Rücken zur Wand stand und sich nicht rühren durfte, ohne die Schultern ihres Kleides festzuhalten, damit sie ihr nicht über die Arme herunterrutschten.
»Sie ist unten in der Küche.« Lance deutete abwärts und sah Erin fragend an. Zwischen seinen Brauen bildete sich eine steile
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