Schöne Lügen: Roman (German Edition)
liebenswürdig klang.
Erin hatte nicht einmal mehr die Zeit, dem freundlichen Engländer noch eine gute Reise zu wünschen, ehe Lance sie durch die Menschenmenge wegzerrte. Sie murmelte den Leuten, an denen sie vorbeikamen, Entschuldigungen zu, weil sie gegen sie stieß, und es entging ihr auch nicht, daß einige dieser Leute ihnen befremdete Blicke zuwarfen. Lances Benehmen war abstoßend, doch er schien die vielen Menschen und seine eigene Grobheit gar nicht zu bemerken.
Als sich die Menge etwas lichtete, fragte er sie verärgert: »Wo, zum Teufel, sind Sie gewesen? Wo ist Mrs. Lyman? Und wer war der Halunke, mit dem Sie sich unterhalten haben?« Bei jeder Frage verstärkte sich der Druck seiner Hand um ihren Oberarm, bis Erin beinahe vor Schmerz aufgeschrien hätte.
»Ich werde kein einziges, elendes Wort sagen, wenn Sie mich nicht sofort loslassen«, brauste sie auf.
Er blickte auf seine Hand, die noch immer ihren Oberarm umklammerte, und in diesem Augenblick schien er erst zu bemerken, daß er sie festhielt. Sofort ließ er los. »Also gut«, schrie er zurück. »Wo ist Mrs. Lyman?«
»Sie ist in einer Boutique und kauft sich ein Kleid«, erklärte Erin und rieb ihren schmerzenden Arm, um die Blutzirkulation anzuregen. »Sie hatte es anprobiert und ist jetzt zurückgegangen, um es zu kaufen. Ich habe hier draußen auf sie gewartet.«
»Und wer war der Mann, mit dem Sie sich so köstlich amüsierten?« Seine Augen blickten genauso kalt, wie seine Stimme klang.
Erins Toleranzgrenze war erreicht. »Ich habe keine Ahnung!« rief sie. »Er war ganz einfach nur ein Mann, ein sehr freundlicher, netter Mann, dem Sie nicht das Wasser reichen können«, fügte sie bissig hinzu.
»Sie können Ihre Menschenkenntnis für sich behalten, Miss O’Shea. Meine Unfreundlichkeit hat ihren Ursprung in meiner Besorgnis. Sie sind schon seit Stunden weg! Und als Clark dann anrief und erklärte, daß er Sie in der Menschenmenge verloren hatte …«
»Sie haben uns beschatten lassen?« fragte sie ungläubig. »Das ist ja wohl …«
»Nur zum Schutz von Mrs. Lyman natürlich.«
»Von wegen.« Erin entdeckte Melanie, die auf sie zukam und sich mit einem Mann unterhielt, der Armesündermiene aufsetzte, als er näher kam. »Ich habe sie gefunden«, erklärte er Lance.
»Ja, danke«, erwiderte Lance. Erin tat der junge Mann leid, der zweifellos in Lances Augen lesen konnte, was dieser von ihm hielt.
Melanie schien von der Spannung gar nichts zu merken, als sie danach alle vier auf Erins Wagen zuhielten. »Wir haben dort drüben geparkt und werden hinter Ihnen herfahren«, knurrte Lance und hielt Erin die Autotür auf.
»Jawohl, Sir. Ganz, wie Sie möchten, Sir.« Sie salutierte militärisch und freute sich darüber, wie er das Gesicht verzog und dann die Autotür ins Schloß warf.
Um Lance noch mehr zu ärgern, bat sie Melanie, ihr den längsten Umweg nach Hause zu zeigen. Sie fuhren dabei auch durch die Lombard Street, die kurvenreichste Straße der Welt, auf der es auf einer Länge eines Häuserblocks sieben Kurven gab. Der Mercedes schaffte diese Kurven mit Leichtigkeit, der Wagen, in dem Lance saß, jagte Rauchwolken in die Luft.
Als sich die ersten Anzeichen eines verdorbenen Magens meldeten, wußte Erin, daß sie für die Schlemmereien dieses Tages bezahlen mußte. Ihr Zusammenstoß mit Lance hatte auch noch dazu beigetragen, daß ihr Magen jetzt revoltierte. Sie ging zu Bett, verriet Melanie allerdings nichts von ihrer Übelkeit, sondern erklärte ihren Rückzug mit Übermüdung.
Sie versuchte zu schlafen, doch warf sie sich ruhelos in dem Bett hin und her, bis sie schließlich in einen oberflächlichen Schlummer fiel. Irgendwann nach Mitternacht wachte sie auf, mit heftigen Magenkrämpfen. Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper zog sich zusammen, und ihr brach der Schweiß aus.
Die Gliedmaßen waren bleischwer, als sie die Decke zurückschob und aufzustehen versuchte. Sie schaffte es gerade noch, das Licht im Bad anzuknipsen und den Deckel der Toilette zu lüften, dann mußte sie sich sturzbachartig übergeben.
Sie konnte sich nicht daran erinnern, sich jemals in ihrem Leben so elend gefühlt zu haben. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ihr Magen leer war. Jeder einzelne Krampf nahm ihr den Atem, heiß und kalt lief es ihr über den Rücken, Hals und Kopf. Wie Feuer brannte es in ihren Ohren, der Kopf dröhnte. Dann wieder fror und zitterte sie. Schweißausbrüche folgten, und das Nachthemd klebte ihr am
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