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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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    Wenn er sich nur Zeit gelassen hätte, in Ruhe einen Platz zu wählen, statt sich auf den nächstbesten Stuhl zu drücken! Er hätte jetzt zwischen Monisma Haeckel und Drahtleite Diesel sitzen können. Statt dessen hatte er sich blindlings neben Morgana niedergelassen, neben Morgana - großer Ford! Ihre schwarzen Augenbrauen, oder vielmehr: ihre Braue, denn sie vereinigten sich über der Nase - großer Ford! Und noch dazu saß Marlene Deterding ihm zur Rechten. Marlenes Brauen waren nicht zusammengewachsen,
    aber sie war übermäßig
    pneumatisch.
    Monisma und Drahtleite dagegen waren einwandfrei.
    Üppig, blond, nicht zu groß... Und jetzt setzte sich der klobige Lümmel, Bosch Kawaguchi, zwischen sie!
    Als letzte kam Sarojini Engels.
    »Sie kommen zu spät!« rief der Vorsänger der Gruppe ihr
    tadelnd zu. »Daß mir das nicht wieder vorkommt.«
    Sarojini entschuldigte sich und glitt auf ihren Platz zwischen Bernard Bokanowsky und Valentino Bakunin. Die Gruppe war jetzt vollzählig, der Eintrachtskreis geschlossen und ohne Fehl.
    Mann, Frau, Mann, ein endlos wechselnder Ring um den Tisch.
    Zwölf Menschen, bereit, eins zu werden, zu verschmelzen, ihre zwölf Einzeldasein an ein größeres Sein zu verlieren.
    Der Vorsänger erhob sich, schlug ein T und drehte die
    synthetische Musik an: leise, endlose Trommelschläge und ein Orchester - Aus- und Einbläser und Über- und Unterstreicher -, das schallend die kurze, unentrinnbare Melodie der ersten
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    Eintrachtshymne immer von neuem wiederholte. Wieder und
    wieder - nicht mehr das Trommelfell fing den pochenden
    Rhythmus auf, sondern das Zwerchfell. Das Drängen und
    Schmachten der Harmonien erregten nicht das Gemüt, sondern die Eingeweide, den Unterleib. Abermals schlug der Vorsänger ein T und setzte sich. Die Andacht hatte begonnen. Die diesem Zweck geweihten Somatabletten wurden in die Mitte des
    Tisches gelegt. Der Eintrachtskelch,
    gefüllt mit
    Erdbeereiscremesoma, ging von Hand zu Hand, und zwölfmal wurde mit dem Spruch »Ich trinke auf meine Auflösung« daraus getrunken. Dann sang man zu synthetischer Orchesterbegleitung die erste Eintrachtshymne: Ford, wir sind zwölf, o mach uns eins Wie Tropfen im Gemeinschaftsquell; Laß laufen uns im Strom des Seins Schnell wie dein 12-PS-Modell!
    Zwölf inbrünstige Strophen. Der Kelch machte zum
    zweitenmal die Runde. »Ich trinke auf das Größere Sein« lautete jetzt der Spruch. Alle tranken. Unermüdlich spielte die Musik.
    Die Trommeln dröhnten. Das Aufschreien und
    Aufeinanderprallen der Harmonien wurde zur Besessenheit in den hinschmelzenden Eingeweiden. Man stimmte die zweite
    Eintrachtshymne an: Komm, Größres Sein, du Trost der Massen, Und schmilz uns Zwölf zu Einem hin; Wenn unser Einzelsein wir lassen, Ist es des Größern Seins Beginn.
    Abermals zwölf Strophen. Unterdessen begann das Soma
    seine Wirkung zu tun. Die Augen glänzten, die Wangen glühten, das inwendige Leuchten einer alles umfassenden Güte
    offenbarte sich auf jedem Gesicht durch ein glückseliges, einladendes Lächeln. Sogar Sigmund fühlte sich ein wenig hinschmelzen. Als sich Morgana Rothschild ihm strahlend
    zuwandte, gab er sich die größte Mühe, zurückzustrahlen. Aber diese Augenbraue, diese schwarze Einswerdung, war leider noch immer da und ließ sich nicht wegleugnen, so sehr er sich auch anstrengte. Er war noch nicht genügend hingeschmolzen. Ja, wenn er zwischen Monisma und Drahtleite gesessen hätte...
    -89-

    Zum drittenmal kreiste der Kelch. »Ich trinke auf Sein Nahen«, rief Morgana Rothschild, bei der diesmal zufällig die Zeremonie begann. Ihre Stimme war laut und überschwenglich.
    Sie trank und reichte Sigmund den Kelch. »Ich trinke auf Sein Nahen«, wiederholte er bei dem ehrlichen Versuch, das Nahen zu spüren. Doch der Gedanke an die Augenbraue verfolgte ihn, und das Nahen la g für ihn noch in grauenhafter Ferne. Er trank und reichte Marlene Deterding den Kelch. »Es wird wieder ein Mißerfolg«, sagte er sich. »Ich weiß es.« Aber er tat sein möglichstes, um zu strahlen.
    Der Kelch hatte die Runde gemacht. Der Vorsänger gab mit erhobener Hand ein Zeichen, man stimmte die dritte Hymne an: Oh, freuet euch voll Überschwang: Das Allerhöchste nahet sich.
    Schmelzt hin bei dieser Trommeln Klang, * Denn ich bin du, und du bist ich!
    Von Strophe zu Strophe stieg die Erregung der bebenden
    Stimmen. Das Nahen des Allerhöchsten lag wie eine elektrische Spannung in der Luft. Der Vorsänger

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