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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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Tursi, dessen Frau Antonia und ihren meeräugigen Sohn Pasquale wiedersah. Aber jetzt – festzustellen, dass Carlo und Antonia beide tot waren und dass Pasquale ein erwachsener Mann war … Alvis wusste nicht, was er denken sollte. Natürlich hatte er schon von Eheleuten gehört, die so kurz nacheinander gestorben waren, weil der überlebende Teil die Trauer nicht ertragen konnte. Trotzdem fiel es ihm schwer, die neue Situation zu begreifen. Vor einem Jahr hatten Carlo und Antonia doch noch einen völlig gesunden Eindruck gemacht. Und jetzt sollten sie auf einmal nicht mehr da sein?
    »Wann ist das passiert?«, fragte er Pasquale.
    »Mein Vater ist im letzten Sommer gestorben, meine Mutter vor drei Nächten. Morgen ist ihr Begräbnis.«
    Immer wieder forschte Alvis in Pasquales Gesicht. Bei seinen letzten Besuchen hier hatte ihn Alvis nicht gesehen, weil Pasquale in Florenz studierte. Er konnte einfach nicht glauben, dass der kleine Pasquale zu diesem … Mann herangewachsen war. Selbst in der Trauer bewahrte Pasquale die gleiche seltsame Ruhe wie als Junge, der die Welt gelassen mit seinen blauen Augen betrachtete. Sie saßen in der kühlen Morgenluft auf der Terrasse, zu Alvis Benders Füßen die tragbare Schreibmaschine und der Koffer. »Das tut mir schrecklich leid, Pasquale. Ich kann mir weiter oben an der Küste ein Hotel suchen, wenn du lieber allein sein möchtest.«
    Pasquale schaute ihn an. Alvis’ Italienisch war zwar nicht perfekt, aber in der Regel doch verständlich. Trotzdem schien der junge Mann einen Augenblick zu brauchen, bis er die Worte registriert hatte, fast, als hätte er sie sich übersetzen müssen. »Nein. Ich möchte, dass du bleibst.« Er schenkte beiden Wein nach und schob Alvis sein Glas hin.
    »Grazie«, sagte Alvis.
    Still tranken sie, und Pasquale starrte auf den Tisch.
    »Es ist nicht ungewöhnlich, dass Eheleute so schnell nach einander sterben.« Alvis suchte nach dem richtigen Ausdruck. »Di dolore.« Am Schmerz.
    »Nein.« Langsam hob Pasquale den Kopf. »Meine Tante hat sie umgebracht.«
    Alvis glaubte, sich verhört zu haben. »Deine Tante?«
    »Ja.«
    »Warum sollte sie so was tun, Pasquale?«
    Pasquale strich sich übers Gesicht. »Meine Mutter wollte es. Damit ich die amerikanische Schauspielerin heiraten kann.«
    Alvis fürchtete, dass Pasquale vor Trauer den Verstand verloren hatte. »Was für eine Schauspielerin?«
    Schläfrig reichte er ihm ein Foto. Alvis zog die Lesebrille aus der Tasche und starrte entgeistert auf das Bild. »Deine Mutter wollte, dass du Elizabeth Taylor heiratest?«
    »Nein. Die andere.« Pasquale wechselte ins Englische, als wären solche Dinge nur in dieser Sprache glaubwürdig. »Sie kommt in Hotel, drei Tage. Aber sie macht Fehler, dass sie kommt.« Er zuckte die Achseln.
    In den neun Jahren, die Alvis Bender nach Porto Vergogna gekommen war, hatte er in dem Hotel nur drei andere Gäste gesehen und sicherlich keine Amerikaner oder gar Bekannte von Elizabeth Taylor. »Sie ist schön«, bemerkte Alvis. »Und wo ist deine Tante jetzt, Pasquale?«
    »Ich weiß nicht. Sie ist in die Berge geflohen.« Wieder schenkte Pasquale nach. »Alvis, ist es in Ordnung, wenn wir nicht reden?«
    »Natürlich, Pasquale.« Alvis fächelte sich mit seinem Filzhut Luft zu.
    Stumm tranken sie ihren Wein. Unten spülten die Wellen an die Klippen, und ein leichter, salziger Dunst erhob sich, als die beiden Männer hinaus aufs Meer starrten.
    »Sie hat dein Buch gelesen«, bemerkte Pasquale nach einigen Minuten.
    Alvis neigte unwillkürlich den Kopf. »Was hast du gesagt?«
    »Dee. Die Amerikanerin.« Er deutete auf die Blondine in dem Bild. »Sie hat dein Buch gelesen. Sie sagt, es ist traurig, aber auch sehr gut. Es hat ihr gefallen.«
    »Wirklich?« Vor Überraschung verfiel Alvis ins Englische. »Nicht zu fassen.« Wieder wurde es still bis auf das Plätschern des Wassers, das klang, als würde jemand Karten mischen. Nach einer Weile kehrte er wieder zum Italienischen zurück. »Sonst hat sie … wohl nichts gesagt?«
    Pasquale wollte wissen, was Alvis meinte.
    »Über mein Kapitel. Hat die Schauspielerin sonst noch was gesagt?«
    Pasquale konnte sich nicht mehr erinnern.
    Nachdem Alvis sein Glas leer getrunken hatte, wollte er hinauf in sein Zimmer. Pasquale fragte ihn, ob er vielleicht in die erste Etage ziehen könnte. Die Schauspielerin hatte im zweiten Stock gewohnt, und er war noch nicht zum Saubermachen gekommen. Pasquale kam sich komisch vor bei dieser

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