Schöne Ruinen
den Tisch. »Sagen Sie ihr einfach, sie soll sich mit mir in Verbindung setzen, wenn sie hierherkommt, capisce?«
In diesem Moment erschien Richard Burton in der Tür. »Wo soll der Wein sein, Meister?«
Pasquale beschrieb es ihm, und Richard Burton verschwand wieder nach drinnen.
Michael Deane lächelte. »Manchmal sind die Guten … schwierig.«
»Und er ist ein Guter?« Pasquale hielt den Blick gesenkt.
»Der Beste, der mir je begegnet ist.«
Wie auf ein Stichwort kam Richard Burton mit einer Flasche Wein ohne Etikett heraus. »Also, dann. Bezahl den Mann für den Vino, Deane-o.«
Michael Deane legte doppelt so viel auf den Tisch, wie die Flasche kostete.
Angelockt von den Stimmen, schlenderte Alvis Bender heraus, blieb aber wie angewurzelt in der Tür stehen, als ihm Richard Burton mit der dunklen Flasche zuprostete: »Cin cin, amico.« Er nahm einen tiefen Zug und wandte sich wieder an Michael Deane. »Also, Deane-o … ich glaube, wir haben noch ein paar Welten zu erobern.« Er verneigte sich vor Pasquale. »Dirigent, du hast ein feines Orchester hier. Ändere bloß nichts daran.« Mit diesen Worten machte er sich auf den Weg zurück zum Boot.
Michael Deane griff in seine Brusttasche und nahm eine Visitenkarte und einen Stift heraus. »Und das …« Mit großer Geste signierte er die Rückseite der Karte und legte sie auf den Tisch vor Pasquale, als würde er einen Zaubertrick vorführen. »Das ist für Sie, Mr. Tursi. Vielleicht kann ich eines Tages auch was für Sie tun. Con molta discrezione, natürlich.« Dann nickte der Mann feierlich und wandte sich ab, um Richard Burton die Treppe hinab zu folgen.
Pasquale nahm die unterschriebene Visitenkarte und drehte sie um. Er las: Michael Deane, Public Relations, 20th Century Fox.
In der Tür des Hotels stand Alvis Bender völlig reglos und starrte mit offenem Mund den beiden Männern nach, die hinunter zum Ufer stiegen. »Pasquale? War das wirklich Richard Burton?«
»Ja.« Pasquale seufzte. Und damit hätte die ganze Episode mit den amerikanischen Filmleuten ihr glückliches Ende gefunden, wenn sich nicht Pasquales Tante Valeria genau diesen Moment ausgesucht hätte, um wie eine Erscheinung hinter der verlassenen Kapelle hervorzuwanken: verrückt vor Trauer und Schuld nach der Nacht im Freien, die Augen leer, die Haare wie eine Explosion aus geborstenem Draht, die Kleider verdreckt, die hungerhohlen Wangen von schmutzigen Tränen überströmt. »Diavolo!«
Sie stürzte vorbei am Hotel, vorbei an Alvis Bender und vorbei an ihrem Neffen den beiden Männern nach, die zum Wasser strebten. Aufgescheucht schossen vor ihr die verwilderten Katzen auseinander. Richard Burton war schon zu weit voraus, doch sie humpelte über den Pfad auf Michael Deane zu und schrie ihm nach: »Omicida! Assassino cruento!« Teufel, Totschläger, Meuchelmörder.
Schon fast am Boot angelangt, drehte sich Richard Burton um. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst den Wein bezahlen, Deane!«
Michael Deane blieb stehen und wandte sich um. Er hob die Hände, um wie üblich seinen Charme spielen zu lassen, doch die alte Hexe stürmte weiter. Sie deutete mit dem knochigen Finger auf ihn, und ihre Wehklage brach als schrecklicher Fluch aus ihr heraus, der von den Klippenwänden widerhallte: »Io ti maledico ad una morte lenta, tormentato dalla tua anima miserabile!«
Ich verfluche dich zu einem langsamen Tod, gepeinigt von deiner jämmerlichen Seele.
»Gottverdammt, Deane«, brüllte Richard Burton, »steigst du jetzt endlich ins Boot?«
15
Das abgelehnte erste Kapitel
von Michael Deanes Memoiren
2006
Los Angeles, Kalifornien
Achtung, Aufnahme!
Also gut, wo soll ich anfangen? Bei der Geburt natürlich.
Schön. Ich kam 1939 als viertes von sechs eines cleveren Anwalts und seiner Gattin in der Stadt der Engel auf die Welt. Doch wirklich GEBOREN wurde ich erst im Frühjahr 1962.
Als ich herausfand, was meine Bestimmung war.
Davor war das Leben, wie es wohl für normale Leute sein muss. Familienfeste und Schwimmunterricht. Tennis. Sommer mit Cousins in Florida. Gefummel mit leichten Mädchen hinter dem Schulhaus und im Kino.
War ich der Hellste? Nein. Der Bestaussehende? Auch nicht. Ich war ein Unruhestifter. Mit großem U. Neidische Jungs wollten mich regelmäßig verprügeln. Mädchen verpassten mir Ohrfeigen. Schulen spuckten mich aus wie eine schlechte Auster.
Für meinen Vater war ich der Verräter. An seinem Namen und seinen Plänen für mich: Studium im Ausland. Jura.
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