Schöne Ruinen
Lüge, doch er war einfach noch nicht bereit, jemand anders in dieses Zimmer zu lassen. Nicht einmal Alvis.
»Natürlich.« Anscheinend beglückt von der Vorstellung, dass eine schöne Frau sein Buch gelesen hatte, zog sich Alvis mit einem Lächeln im Gesicht zurück.
So saß Pasquale allein am Tisch, als er das hohe Dröhnen eines größeren Motors hörte. Kurz darauf bog ein Schnellboot, das er nicht kannte, um den Wellenbrecher in die winzige Bucht von Porto Vergogna. Es hatte zu viel Fahrt und schob sich wütend in die Luft, ehe es wieder nach unten in sein eigenes Kielwasser stürzte. Während es am Pier entlangpolterte, konnte er deutlich die drei Insassen erkennen: ein Mann mit schwarzer Mütze, der das Boot lenkte, und hinten nebeneinander auf der Bank die Schlange Michael Deane und der Säufer Richard Burton.
Pasquale machte keine Anstalten, zum Wasser hinunterzugehen. Nachdem das Boot am Holzpoller festgemacht war, kletterten Michael Deane und Richard Burton auf den Pier und strebten auf dem schmalen Pfad zum Hotel.
Richard Burton wirkte nüchtern und trug ein makelloses Kammgarnjackett, aus dem die Hemdmanschetten hervorblitzten, aber keine Krawatte.
»Da ist ja mein alter Freund«, rief Richard Burton Pasquale zu, als er zum Dorf hinaufstieg. »Dee ist wohl nicht zufällig wieder hier, alter Knabe?«
Michael Deane hielt sich einige Schritte hinter Burton und musterte die Umgebung.
Pasquale wandte sich um und versuchte, die kümmerliche Siedlung mit den Augen des Amerikaners zu betrachten. Be stimmt wirkten die kleinen Steinhäuser so erschöpft, wie er sich fühlte – als liefen sie Gefahr, nach dreihundert Jah ren den Halt an den Klippen zu verlieren und ins Meer zu stürzen.
»Nein.« Pasquale blieb sitzen, doch als die beiden die Terrasse erreichten, funkelte er Michael Deane böse an.
Michael Deane wich einen halben Schritt zurück. »Sie haben sie also nicht gesehen?«
»Nein«, wiederholte Pasquale.
»Ich hab’s dir ja gesagt.« Michael Deane sah Richard Burton an. »Und jetzt fahren wir zurück nach Rom. Bestimmt taucht sie bald dort auf. Oder sie reist doch weiter in die Schweiz.«
Richard Burton fuhr sich mit der Hand durchs Haar und drehte sich um. Dann deutete er auf die Weinflasche auf dem Terrassentisch. »Wenn es dir nichts ausmacht, alter Knabe …«
Hinter ihm zuckte Michael Deane zusammen, doch als Richard Burton die Flasche nahm und sie schüttelte, stellte er fest, dass sie leer war. »Unverschämtes Pech.« Er rieb sich über den Mund, als würde er gleich verdursten.
»Wein ist noch drinnen«, meinte Pasquale. »In der Küche.«
»Verdammt anständig von dir, Pat.« Richard Burton klopfte Pasquale auf die Schulter und marschierte an ihm vorbei ins Hotel.
Nachdem er verschwunden war, scharrte Michael Deane mit den Füßen und räusperte sich. »Dick dachte, dass sie vielleicht wieder hergekommen ist.«
»Sie haben Dee verloren?«, fragte Pasquale.
»Ich glaube, so könnte man es ausdrücken.« Michael Deane runzelte die Stirn, als würde er überlegen, ob er noch etwas hinzufügen sollte. »Sie sollte in die Schweiz fahren, aber anscheinend ist sie gar nicht in den Zug gestiegen.« Er strich sich über die Schläfe. »Falls sie hier auftaucht, könnten Sie dann Kontakt mit mir aufnehmen?«
Pasquale schwieg.
»Hören Sie«, fuhr Michael Deane fort. »Das ist alles ziemlich kompliziert. Nimmt man nur diese eine Frau, dann erscheint das alles natürlich ganz schön hart für sie. Aber es geht auch um andere Leute, andere Verpflichtungen und Rück sichten. Ehen, Karrieren … es ist nicht so einfach.«
Pasquale zuckte zusammen, als ihm einfiel, dass er im Gespräch mit Dee Moray das Gleiche über seine Beziehung zu Amedea gesagt hatte: Es ist nicht so einfach.
Erneut räusperte sich Michael Deane. »Ich bin nicht hergekommen, um mich zu rechtfertigen. Ich bin hier, damit Sie ihr was ausrichten können, wenn Sie sie sehen. Sagen Sie ihr, ich weiß, dass sie wütend ist. Aber ich weiß auch genau, was sie will. Sagen Sie ihr das. Michael Deane weiß, was sie will. Und ich bin auch der Mann, der ihr dabei helfen kann, es zu kriegen.« Er griff in sein Jackett und zog einen weiteren Umschlag heraus, den er Pasquale hinhielt. »Es gibt einen italienischen Ausdruck, der mir in den letzten Wochen sehr ans Herz gewachsen ist: con molta discrezione.«
Mit größter Diskretion. Pasquale wehrte die Hand mit dem Geld ab wie eine Hornisse.
Michael Deane legte den Umschlag auf
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