Schöne Ruinen
ist sich nicht sicher, ob es daran liegt, dass sie weiß, wer sein Vater ist, oder dass er sich selber spielt – doch einen kurzen, wahnhaften Moment fragt sie sich allen Ernstes, ob das der beste Schauspieler ist, den sie je gesehen hat.
Dann wird es wieder hell.
Es ist ein einfaches Stück. Ab der Eingangsszene folgt die Handlung Pat und Lydia auf ihren jeweiligen Wegen. Pat verbringt drei betrunkene Jahre in der Wildnis und versucht, seine Dämonen zu zähmen. Er spielt einen Musikkabarettmonolog über seine ehemaligen Bands und sein Versagen in Bezug auf Lydia, und ein überschwänglicher junger irischer Musikveranstalter schleift ihn deswegen nach London und Schottland. Für Pat schmeckt diese Reise nach Verzweiflung, ein unbedachter letzter Versuch, berühmt zu werden. Die Seifenblase zerplatzt, als Pat mit Umi schläft, der Frau, die Joe liebt. Aus Wut über Pats Verrat setzt sich Joe mit Pats Geld ab, der schließlich in London strandet.
Lydia sieht sich in ihrem Teil der Geschichte nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter mit der Aufgabe konfrontiert, sich um ihren senilen Stiefvater Lyle zu kümmern, mit dem sie sich nie vertragen hat. Lyle sorgt geschickt für komische Auflockerung, da er ständig den Tod seiner Frau vergisst und die fünfunddreißigjährige Lydia fragt, warum sie nicht in der Schule ist. Lydia möchte ihn in ein Pflegeheim bringen, aber Lyle wehrt sich, und Lydia kann sich nicht dazu überwinden. Um die Lücken in der Chronologie zu schließen und das Verstreichen der Zeit zu signalisieren, spricht Lydia gelegentlich mit Pats Mutter Debra in Idaho – ein erzählerischer Kniff, der besser funktioniert, als Claire erwartet hätte. Debra tritt nie persönlich auf und bleibt nur eine unsichtbare, unhörbare Gegenwart am anderen Ende der Telefonleitung. »Lyle hat heute ins Bett gemacht.« Lydia wartet auf die Reaktion von Debra (oder Dee, wie sie sie manchmal nennt). »Sicher, Dee, das wäre normal … aber leider war es mein Bett! Plötzlich stand er vor mir und hat in einem heißen Strahl auf mein Bett gepisst und gerufen: »Wo sind die Handtücher?«
Schließlich verbrennt sich Lyle am Herd, als Lydia in der Arbeit ist, und ihr bleibt nichts anderes mehr übrig, als ihn ins Pflegeheim zu bringen. Lyle weint, als sie es ihm eröffnet. »Dir geht’s bestimmt gut dort«, tröstet sie ihn. »Verlass dich auf mich.«
»Ich mach mir keine Sorgen um mich«, erklärt Lyle. »Es ist bloß … Ich hab es deiner Mutter versprochen. Wer soll sich denn jetzt um dich kümmern?«
Lyle glaubt, sich um sie gekümmert zu haben – und Lydia erkennt, dass sie sich am lebendigsten fühlt, wenn sie für jemand anders da sein kann, und zieht nach Idaho, um Pats kranke Mutter zu betreuen. Eines Nachts schläft sie in Debras Wohnzimmer, als das Telefon klingelt. Auf der anderen Seite der Bühne wird es hell, und man sieht Pat, der von einer roten Londoner Telefonzelle aus seine Mutter anruft, um sie um Hilfe zu bitten. Zuerst freut sich Lydia, von ihm zu hören. Doch Pat geht es anscheinend darum, dass er kein Geld mehr hat und Hilfe braucht, um nach Hause zu kommen. Er fragt nicht einmal nach seiner Mutter. Lydia wird still an ihrem Ende der Leitung.
»Moment«, fragt er, »wie spät ist es bei dir?«
»Drei«, antwortet Lydia leise.
Pats Kopf sinkt nach unten, genau wie in der ersten Szene.
»Wer ist es, Liebes?« Die Stimme kommt aus den Kulissen – die ersten Worte, die Pats Mutter in dem gesamten Stück gesprochen hat.
In seiner Londoner Telefonzelle flüstert Pat: »Mach es, Lydia.«
Lydia holt tief Luft. »Niemand.« Dann geht sie aus der Leitung.
In der Telefonzelle erlischt das Licht. Pat muss sich als Stadtstreicher in London durchschlagen. Abgerissen und betrunken spielt er im Schneidersitz Gitarre, um genug Geld für die Heimreise zu erbetteln. Ein Passant bleibt stehen und verspricht Pat zwanzig Pfund, wenn er ein Liebeslied spielt. Pat fängt den Song »Lydia« an, aber er bricht ab. Er schafft es nicht.
In Idaho, wo Schnee am Hausfenster das Verstreichen der Zeit signalisiert, bekommt Lydia wieder einen Anruf. Ihr Stiefvater ist im Pflegeheim gestorben. Sie bedankt sich für die Benachrichtigung. Dann will sie Tee für Pats Mutter kochen, aber sie kann nicht. Sie starrt einfach auf ihre Hände. Sie scheint ganz allein auf der Bühne, auf der Welt. Plötzlich klopft es am Eingang. Sie öffnet. Es ist Pat Bender, der in der derselben Tür steht wie Lydia zu Beginn des Stücks. Lydia
Weitere Kostenlose Bücher