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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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kann es nicht operieren. Sie hat noch ein paar Monate oder Jahre zu leben, aber sie können ihn nicht aufhalten. Sie will noch mal eine Chemo probieren, doch die Bestrahlungsmöglichkeiten sind ausgereizt. Sie können es also nur verwalten. Aber sie klang gut, Pat. Sie wollte, dass ich es dir sage. Ihr selbst war es zu viel. Sie hat Angst, dass du wieder Drogen nimmst. Ich hab ihr erzählt, dass du jetzt stabiler bist …
    Pat: [ flüstert ] Lydia, bitte …
    Lydia: Also, lass uns wegziehen, Pat. Was meinst du? Bitte. Ich meine … wir glauben, dass das ein endloser Kreislauf ist … wir streiten, trennen uns, versöhnen uns, immer so weiter im Kreis, aber was ist, wenn es kein Kreis ist? Wenn es eine Abwärtsspirale ist? Wenn wir eines Tages zurückblicken und erkennen, dass wir nicht einmal versucht haben auszubrechen?
    [ Lydia tastet in dem Gewirr von Laken nach Pats Hand. Doch sie spürt etwas und fährt zurück. Sie springt auf und knipst die Nachttischlampe an, die Pat und die andere Ausbeulung in grelles Licht taucht. Sie zieht die Bettdecke zurück. Erst jetzt sehen wir die Schauspieler bei vollem Licht. Marla hält sich das Laken vor die Brust und winkt abwehrend mit der Hand. Lydia weicht zurück. Pat starrt einfach ins Leere. ]
    Lydia: Oh.
    [ Schwerfällig klettert Pat aus dem Bett, um seine Kleider aufzusammeln. Doch dann zögert er. Nackt hält er inne, als würde er sich zum ersten Mal wahrnehmen. Er senkt den Blick, überrascht, dass er so untersetzt und alt geworden ist. Endlich wendet er sich zu Lydia um, die in der Tür steht. Die Stille dauert schier endlos. ]
    Pat: Tja … Eine Dreierbeziehung kommt wohl eher nicht infrage.
    VORHANG
    Kollektives Aufächzen im halb leeren Theater, gefolgt von nervösem, unbehaglichem Gelächter. Als es auf der Bühne dunkel wird, merkt Claire, dass sie fast während der ganzen kurzen Eröffnungsszene des Stücks die Luft angehalten hat. Erst jetzt hat sie ausgeatmet und das ganze Publikum mit ihr, eine plötzliche Befreiung in Form von verhaltenem, schuldbewusstem Lachen beim Anblick dieses gemeinen Kerls, der da nackt auf der Bühne steht – den Schritt kunstvoll verborgen hinter einer Decke über dem Fußende des Betts.
    In der Dunkelheit während des Kulissenumbaus haften Geister an Claires Augen. Ihr wird bewusst, wie raffiniert die Szene arrangiert ist: Das fast bis zum Schluss herrschende Halbdunkel zwingt die Zuschauer förmlich dazu, nach den Akteuren zu suchen, sodass sich beim plötzlich einsetzenden, grellen Licht Lydias gequältes Gesicht und Pats weiße Schlaffheit wie Röntgenstrahlen in ihre Netzhaut brennen – ein Stroboskop des Verrats und der Reue.
    Das hat Claire nicht erwartet (Laientheater? In Idaho ?), als sie in Sandpoint angekommen sind, einem niedlichen, alten Skiort am Ufer eines riesigen Bergsees. Weil keine Zeit mehr blieb, dass sie im Hotel eincheckten, fuhr sie der Privatdetektiv direkt zum Panida-Theater in der kleinen L-förmigen Innenstadt, dessen horizontales Schild eine malerische Fassade markiert und hinter dessen klassischer Abendkasse man einen Art-déco-Saal betritt – zu groß für dieses persönliche, kammerspielartige Stück, aber dennoch ein beeindruckender Raum, der sorgfältig restauriert wurde, um das ursprüngliche Ambiente des Lichtspielhauses der Zwanzigerjahre wiederherzustellen. Die hinteren Reihen sind leer, doch die Plätze weiter vorn sind besetzt von schwarz gekleideten Kleinstadtintellektuellen, Birkenstockträgern, falschen Blondinen in Skikluft und betuchteren, älteren Paaren, die – wenn Claire sich nicht sehr irrt – die Mäzene dieser Theatergruppe sind. Nachdem sie sich auf ihrem Platz eingerichtet hatte, warf Claire einen Blick auf das fotokopierte Programmheft: FRONTMANN • GENERALPROBE • THEATER ARTS GROUP VON NORTHERN IDAHO . Na dann, dachte sie, die Amateure sind am Zug.
    Doch dann fängt es an, und Claire ist regelrecht schockiert. Shane geht es nicht anders. »Wow«, flüstert er. Claire schielt hinüber zu Pasquale Tursi, der völlig hingerissen wirkt, obwohl seiner Miene schwer zu entnehmen ist, ob er das Stück bewundert oder einfach nicht recht weiß, was der Nackte da auf der Bühne macht.
    Rechts von Claire sitzt Michael, dessen wächsernes Gesicht irgendwie erschüttert scheint. Er hat die Hand auf die Brust gelegt. »Mein Gott, Claire. Hast du das gesehen? Hast du ihn gesehen?«
    Ja, das ist ihr auch aufgefallen. Es ist unbestreitbar. Pat Bender ist eine Macht auf der Bühne. Sie

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