Schöne Ruinen
sich die Baseballspiele der Cubs im Radio anhören und seinen Neffen eine immer ausgefeilterte Geschichte davon erzählen konnte, wie er seinen Fuß verloren hatte (»Ich bin auf eine Landmine getreten und habe dadurch meinen Kameraden das Leben gerettet«).
An diesem Tag sollten wir zu einem gerade befreiten Dorf marschieren, um die Überlebenden zu befragen (»Süße, Americano! Dolci, per favore!«), um die Bauern zu bedrängen, damit sie ihre kommunistischen Enkel verpfiffen, und uns zu erkundigen, ob die besiegten Deutschen beim Weglaufen zufällig erwähnt hatten, wo sich Hitler versteckt hielt. Als wir auf dieses kleine Bergnest zumarschierten, bemerkten wir direkt neben der Straße die verwesende Leiche eines deutschen Soldaten, die über einen rohen, behelfsmäßigen Sägebock aus knorrigen Baumästen gefaltet war.
Mehr bekamen wir von den Deutschen eigentlich kaum zu sehen in diesem Frühjahr – Leichen, die von abgebrühten Soldaten oder noch abgebrühteren Partisanen ausgenommen worden waren, deren Arbeit wir abergläubisch respektierten. Allerdings waren wir auch mehr als Touristen; wir machten ebenfalls unsere Kampferfahrungen. Ja, meine lieben, langweiligen Neffen, euer Onkel hatte Anlass, mit seiner Kaliber .30 Richtung Feind zu feuern und dabei mit jedem Schuss kleine Dreckwolken aufzuwirbeln. Schwer zu sagen, wie viele Erdklumpen ich getroffen habe, doch der Hinweis möge genügen, dass der Dreck mich als Gegner fürchtete. Ach ja, und auch wir wurden beschossen. Zu Beginn des Frühlings verloren wir zwei Leute, als deutsche 88-Millimeter-Kanonen uns auf der Straße nach Seravezza begrüßten, und drei weitere in einem furchtbaren, neun Sekunden dauernden Feuergefecht vor Strettoia. Doch das waren Ausnahmen, jähe Ausbrüche blinder, adrenalingespeister Angst. Natürlich erlebte ich auch Tapferkeit und hörte andere Soldaten davon berichten, doch in meinem Krieg kamen Kämpfe meist nur als etwas vor, dem wir begegneten, wenn es schon passiert war – grausige Rätsel wie dieses, hinterlassen als brutale Beweise der Unvernunft. (Baute der Deutsche gerade einen Sägebock, als ihm die Kehle aufgeschlitzt wurde? Oder war er dazu verurteilt worden, quer über einem behelfsmäßigen Sägebock liegend die Kehle aufgeschlitzt zu bekommen? Oder hatte es eine kultische oder symbolische Bedeutung, wie der Ritter auf seinem Pferd, oder war es einfach ein Zufall, dass der Sägebock dort stand, wo der Deutsche zusammenbrach?) Wir diskutierten über solche Fragen, wenn wir auf diese Fleischrätsel stießen: Wer hat den Kopf des Partisanenwachposten mitgenommen? Warum wurde das tote Kind mit dem Kopf nach unten in einem Kornspeicher begraben? Nach dem Geruch und der Insektenaktivität zu urteilen, hatte dieses deutsche Fleischrätsel den Zeitpunkt einer anständigen Bestattung schon um zwei Tage überschritten, und wir ignorierten es einfach in der Hoffnung, dass uns unser befehlshabender Offizier, der idiotische und zahnlückige Leftenant Bean, nicht aufforderte, den verrottenden Leichnam zu verscharren.
Als wir den Toten schon ein gutes Stück hinter uns gelassen hatten, unterbrach ich unvermittelt meinen Marsch und ließ nach vorn bestellen, dass ich mich um die dampfende Leiche kümmern würde. Natürlich hatte ich meine Gründe. Irgendjemand hatte dem Deutschen bereits die Stiefel ausgezogen, und sicherlich war er auch nach Rangabzeichen, Waffen und anderen Dingen abgesucht worden, die eine anständige Trophäe zum Vorzeigen an Thanksgiving in Rockport abgegeben hätten (»Das hier, liebe Neffen, ist der Hitlerschlachtlöffel, den ich einem mörderischen Kraut abgenommen habe, nachdem ich ihn mit bloßen Füßen erdrosselt hatte«), doch seltsamerweise hatte dieser Tote noch seine Socken an. Und so rasend war ich vor Qualen, dass mir die Socken dieses Mannes wie die Erlösung schienen: zwei saubere, fest gewebte Schoner, die seine Füße umhüllten wie Laken die Betten in einem Viersternehotel. Nach Dutzenden Paaren alliierter Ersatzsocken, die mir mein mitfühlender Ausrüstungssergeant hatte zukommen lassen, wollte ich mein Glück nun mit Fußbekleidung der Achsenmächte probieren.
»Das ist krank«, bemerkte Richards, als ich ihm erzählte, dass ich es auf die Socken des Toten abgesehen hatte.
»Ich bin krank!«, bekannte ich. Doch bevor ich mich über die Füße des Verstorbenen hermachen konnte, kam der Schwachkopf Leftenant Bean daher und erklärte, dass ein anderer Zug auf eine mit Minen
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