Schöne Ruinen
fünfundzwanzig. Da sie mich wachsam beäugte, versuchte ich, sie mit meinem polyglotten Charme zu beruhigen: »Scusi, bella. Fare una passeggiata, per favore?«
Sie lächelte. »Ja, du kannst mit mir spazieren gehen«, antwortete sie auf Englisch. Sie wurde langsamer und hakte sich bei mir ein. »Aber nur, wenn du nicht mehr deinen Arsch mit meiner Sprache abwischst.«
Ah, es war also Liebe.
Marias Mutter hatte in diesem Dorf drei Söhne und drei Töchter großgezogen. Ihr Vater war schon zu Beginn des Krieges gestorben, und ihre Brüder waren mit sechzehn, fünfzehn und der letzte mit zwölf eingezogen worden, um italienische Schützen gräben und später deutsche Befestigungen auszuheben. Sie betete, dass wenigstens einer ihrer Brüder irgendwo nördlich der noch verbliebenen Linea Gotica am Leben war, aber viel Hoffnung hatte sie nicht. In aller Kürze schilderte mir Maria die Geschichte ihres Dorfs im Krieg, das ausgewrungen worden war wie ein Spüllappen. Zuerst hatte Mussolini alle jungen Männer geholt, dann waren die Partisanen und zuletzt die Deutschen auf dem Rückzug gekommen, bis es keine männlichen Bewohner zwischen acht und fünfundfünfzig mehr gab und der völlig zerbombte Ort weder über Nahrung noch Ausrüstung verfügte. Maria hatte an einer Klosterschule Englisch gelernt und nach der Invasion der Alliierten Arbeit als Schwesternhelferin in einem amerikanischen Feldlazarett gefunden. Manchmal war sie mehrere Wochen weg, doch sie kehrte immer in ihr Dorf zurück, um nach ihrer Mutter und ihren Schwestern zu sehen.
»Und wenn das alles endlich vorbei ist«, fragte ich, »hast du dann einen netten Mann zum Heiraten?«
»Es gab einen Jungen, aber ich bezweifle, dass er noch lebt. Nein, wenn das alles vorbei ist, kümmere ich mich um meine Mutter. Sie ist eine Witwe, die ihre drei Söhne verloren hat. Und wenn sie nicht mehr unter uns ist, lasse ich mich vielleicht von einem Amerikaner nach New York City bringen. Dann wohne ich im Empire State Building, esse jeden Abend Eis in feinen Restaurants und werde fett.«
»Ich kann dich mit nach Wisconsin nehmen. Dort kannst du auch fett werden.«
»Ah, Wisconsin. Der Käse und die Kuhweiden.« Sie machte eine Handbewegung, als läge Wisconsin gleich hinter den Sträuchern am Straßenrand. »Kühe, Farmen und Madison, Mond über dem Fluss und die Badgers. Im Winter ist es kalt, aber im Sommer sieht man schöne Bauernmädchen mit Pferdeschwänzen und roten Backen.«
So eine Beschreibung konnte sie zu jedem amerikanischen Bundesstaat geben, weil so viele amerikanische Jungen in ihrem Lazarett in Erinnerungen an ihre Heimat geschwelgt hatten, nicht selten kurz vor ihrem Tod. »Idaho? Die tiefen Seen und hohen Berge, endlose Wälder und schöne Bauernmädchen mit Pferdeschwänzen und roten Backen.«
»Für mich lieber kein Bauernmädchen«, bemerkte ich.
»Nach dem Krieg wirst du schon eine finden«, erwiderte sie.
Ich erzählte ihr von meiner Absicht, nach dem Krieg ein Buch zu schreiben.
Sie neigte den Kopf. »Was für ein Buch?«
»Einen Roman. Über das alles hier. Vielleicht einen komischen Roman.«
Sie machte ein finsteres Gesicht. Ein Buch zu schreiben war etwas Bedeutendes, fand sie, und kein Witz.
»O nein«, erklärte ich. »Ich will keine Witze darüber machen. Ich meine nicht diese Art von komisch.«
Sie fragte, was für eine andere Art von komisch es noch gab, und ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Inzwischen waren wir in Sichtweite ihres Dorfs, einer Ansammlung grauer Schatten, die wie eine Mütze auf dem dunklen Hügel vor uns saßen.
»Die Art von komisch, die auch traurig macht«, sagte ich schließlich.
Sie schaute mich merkwürdig an, und genau in diesem Moment schoss weiter vorn ein Vogel oder eine Fledermaus aus den Büschen, und wir schraken beide zusammen. Ich legte Maria den Arm um die Schulter. Und ich weiß nicht, wie es ging, doch plötzlich waren wir nicht mehr auf der Straße, sondern in einem Hain von Zitronenbäumen, ich auf dem Rücken, sie auf mir, und über mir hingen wie Steine die unreifen Früchte. Ich küsste sie auf die Lippen, die Wangen und den Hals, und sie knöpfte schnell meine Hose auf, nahm mich in beide Hände; mit der einen massierte sie mich virtuos, während sie mich mit der anderen streichelte, als hätte sie ein streng geheimes Armeehandbuch über dieses Manöver gelesen. Sie war wirklich außerordentlich, weit besser als ich selbst, und im Nu gab ich Wimmerlaute von mir, sie drückte
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