Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
Vom Netzwerk:
ersetzen.
    Wirklich scharf.
    Kathy drängt ihn immer, nicht zu schlurfen – da siehst du aus wie hundert – , und daher bemüht er sich, die Füße zu heben. Gerade hat sie ihm den Rücken zugekehrt, als er durch die Schiebetür eintritt. »Entschuldigung, Miss.« Er stellt sich seitlich hin, damit sie den Pyjama-Pfosten sehen kann. »Haben Sie die Nudelpizza bestellt?«
    Aber sie hat diese verdammten Stöpsel im Ohr und hat ihn nicht gesehen und gehört – oder vielleicht tut sie nur so. In den zwei schlimmsten Jahren seiner Krise spürte Michael einen Hauch von Herablassung bei ihr, die Geduld einer diensthabenden Schwester in ihrem Ton. Kathy hat die magische Halb-so-alt-wie-er-Marke erreicht – sechsunddreißig gegenüber seinen zweiundsiebzig –, und Michael hat sich in der letzten Zeit generell auf Frauen über dreißig spezialisiert. Es gilt als Skandal, wenn ein Mann in seinem Alter in die Zwanziger hineinschnuppert, aber wenn die Frau schon jenseits der dreißig ist, zuckt niemand zusammen; hier in der Stadt kann man hundert sein und sich eine dreißigjährige Freundin zulegen, ohne in Verruf zu geraten. Dummerweise ist Kathy auch zwölf Zentimeter größer, und das ist die eigentliche unüberbrückbare Kluft; manchmal taucht in seinem Kopf die unangenehme Vorstellung auf, dass er beim Liebesakt auf ihrer kurvenreichen Landschaft herumhampelt wie ein lüster ner Faun.
    Er tritt um den Tresen, um sie auf den Tumult in seiner Pyjamahose aufmerksam zu machen.
    Sie blickt auf, dann hinunter und wieder auf. Endlich zieht sie die Ohrstöpsel heraus. »Hi, Schätzchen. Was ist los?«
    Ehe er das Offensichtliche in Worte fassen kann, vibriert Michaels Handy auf dem Tresen zwischen ihnen. Kathy schiebt ihm das Telefon hin. Ohne die chemische Unterstützung hätte ihr fehlendes Interesse Michaels Zustand gefährdet.
    Er schaut nach der Nummer auf dem Display. Claire? Um Viertel vor fünf an einem Wild-Pitch-Freitag – was kann sie wollen? Seine Assistentin ist blitzgescheit – und er hat die abergläubische Vorstellung, dass sie vielleicht sogar die äußerst seltene Qualität Glück mitbringt –, aber sie macht sich das Leben wahnsinnig schwer. Das Mädel quält sich mit allem herum, stellt sich ständig auf den Prüfstand mit ihren eigenen Erwartungen, ihrer Entwicklung, ihrem Selbstwertgefühl. Ausgesprochen ermüdend. In letzter Zeit beschleicht Michael sogar der Verdacht, dass sie nach einem anderen Job sucht – für so was hat er einen sechsten Sinn –, und das ist wahrscheinlich der Grund, warum er Kathy einen mahnenden Finger zeigt und den Anruf entgegennimmt.
    »Was ist denn, Claire?«
    Sie plappert, schwafelt, kichert. Meine Güte, denkt er, diese Frau mit ihrem unerschütterlichen gehobenen Durchschnittsgeschmack, ihrem lebensüberdrüssigen Scheinzynismus. Immer wieder warnt er sie vor dem Zynismus, der so dünn ist wie ein Anzug für achtzig Dollar. Sie ist eine großartige Lektorin, aber ihr fehlt die kühle Klarheit, die das Produzieren erfordert. Das begeistert mich nicht , sagt sie über eine Idee, als ob das was mit Begeisterung zu tun hätte. Michaels Produktionspartner Danny nennt Claire den Kanarienvogel – einen Kanarienvogel, wie er im Bergbau zur Warnung vor giftigen Gasen eingesetzt wurde – und hat nur halb im Scherz vorgeschlagen, sie als umgekehrtes Barometer zu verwenden: »Wenn es dem Kanarienvogel gefällt, verzichten wir.« Zum Beispiel hat sie zwar zugegeben, dass Hookbook eine tolle Idee ist, ihn aber angefleht, es nicht zu machen. (Claire: Wollen Sie, dass man sich nach all den Filmen, die Sie produziert haben, ausgerechnet wegen so was an Sie erinnert? Michael: Es ist das Geld, weswegen man sich an mich erinnern soll.)
    Am Telefon faselt Claire umständlich und entschuldigungs reich über den Wild-Pitch-Freitag, über irgendeinen alten Italiener und einen Autor, der zufällig die Sprache kann, und Michael will sie unterbrechen: »Claire …« Aber sie sprudelt ohne Punkt und Komma weiter.
    »Claire …«
    Seine Assistentin lässt ihn nicht zu Wort kommen. »Der Italiener sucht nach einer alten Schauspielerin, sie heißt …« Dann spricht Claire einen Namen aus, der ihm einen Moment lang den Atem verschlägt: »Dee Moray.«
    Michael Deanes Beine geben nach. Das Telefon rutscht ihm aus der rechten Hand auf den Tresen, während er mit den Fingern der linken zitternd Halt sucht; nur Kathys schneller Reflex bewahrt ihn davor, dass er mit dem Kopf an die Arbeitsplatte stößt

Weitere Kostenlose Bücher