Schöne Ruinen
über die Bäume zu den glitzernden Lichtern von Beverly Hills wandert. Aufgeschlagen in seinem Schoß liegt ein Drehbuch, die Fortsetzung von Night Ravagers ( Los Angeles – Nacht: Ein schwarzer Pontiac Trans Am rast am brennenden Getty Museum vorbei ) . Seine Assistentin Claire findet das Skript »nicht einmal nach Müllmaßstäben gut«, und obwohl Claires kritische Messlatte zu hoch hängt, muss ihr Michael – vor allem angesichts der schrumpfenden Gewinnspannen im Kino und der miserablen Besucherzahlen des ersten Teils – in diesem Fall zustimmen.
Diese Aussicht genießt er schon seit zwanzig Jahren, und doch erscheint es ihm an diesem Spätnachmittag irgendwie neu, wie die Sonne über die Hügel aus Grün und Glas gleitet. Michael seufzt mit der Zufriedenheit eines Mannes, der wieder an der Spitze ist. Schon erstaunlich, wie sich das Blatt in einem Jahr wenden kann. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er die Schönheit in dieser Aussicht nicht mehr wahrgenommen und auch sonst nirgends mehr. Er fürchtete, dass das Ende gekommen war – nicht der Tod (Männer seines Schlages strecken nie vor neunzig die Waffen), sondern etwas Schlimmeres: Überholtheit. Er befand sich in einem schrecklichen Tief, hatte seit zehn Jahren nicht ansatzweise einen Hit gelandet und in jüngerer Zeit nichts vorzuweisen außer den ersten Night Ravagers , wo von vorweisen eigentlich nicht die Rede sein konnte. Dazu kam das Debakel mit seinen Memoiren, als die Anwälte seines Verlags erklärten, dass er vorhatte, ein »verleumderisches«, »selbstsüchtiges« und »in den Fakten unüberprüfbares« Buch zu schreiben, und sein Lektor einen Ghostwriter engagierte, um eine merkwürdige Kreuzung aus Autobiografie und Ratgeber daraus zu machen.
Alles schien vorbei, und Michael war knapp davor, einer von diesen Alten zu werden, die im Speisesalon des Riviera Country Clubs herumschleichen und suppelöffelnd von Doris Day und Darryl Zanuck faseln. Doch wie sich herausstellte, war der alte Deane-Zauber noch nicht ganz verflogen. Das mag er an dieser Stadt und an diesem Geschäft: eine einfache Idee, ein guter Pitch, und man ist wieder am Drücker. Eigentlich verstand er die Idee zu Hookbook , die sein Comeback ermöglichte, gar nicht richtig (dieser ganze Computer-Blogger-Twitter-Quark ist wie Chinesisch für ihn), aber an den Reaktionen seines Produktionspartners Danny und besonders seiner verklemmten Assistentin Claire mit ihren übertriebenen Ansprüchen erkannte er, dass es was Großes war. Also machte er, was er am besten konnte: Er pitchte die Idee bis zum Abwinken.
Und jetzt steht Michael Deane wieder auf allen Ablaufplänen in der Stadt, auf jeder Endliste für unbestellte Drehbücher und Demoaufnahmen. Tatsächlich ist sein größtes Problem im Augenblick der Knebelvertrag, der dem Studio einen ersten Blick (und einen dicken Anteil) auf alles garantiert, was er macht. Zum Glück glauben seine Anwälte, auch hier eine Lösung gefunden zu haben, und Michael hat bereits damit begonnen, sich anderswo nach Büroräumen umzuschauen. Schon bei dem Gedanken, dass er wieder sein eigener Herr ist, fühlt er sich wie dreißig – und ein deutliches Kribbeln im Schoß.
Oder Moment … ist das vielleicht die Pille, die er vor einer Stunde genommen hat? Tatsächlich, die Wirkung setzt genau nach Plan ein: Unter dem Drehbuch schicken gebrechliche Nervenenden und endotheliale Zellen Stickstoffmonoxid in den Schwellkörper und stimulieren dadurch die Synthese von cyclischem Guanosinmonophosphat, um eine Entspan nung viel benutzter, glatter Muskelzellen und die Flutung von altem Schwammgewebe mit Blut zu bewirken.
Das Drehbuch steigt auf wie die Flagge auf Iwojima.
»Aber hallo.« Michael legt das Skript auf den Gartentisch neben seine Fresca und schiebt sich hoch, um sich auf die Suche nach Kathy zu machen.
Mit seiner abstehenden seidenen Pyjamahose schlurft Michael vorbei am beheizbaren Pool, an dem Schachbrett mit lebensgroßen Figuren, dem Koi-Teich, Kathys Gymnastikball und Yogamatte, dem schmiedeeisernen toskanischen Brunchtisch. Schließlich erspäht er Ehefrau Nr. 4 durch die offene Küchentür in Yogahose und engem T-Shirt. Seine jüngste hervorquellende Investition in sie verfehlt nicht ihre Wirkung: die Implantation eines Spitzenprodukts aus viskosem Silikon-Gel in ihre retromammären Kavitäten, bei minimaler Kapselkontraktion und -vernarbung, zwischen Brustgewebe und -muskel, um die alten, schon leicht hängenden Silikonsäckchen zu
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