Schöne Ruinen
sich an mich, ich roch Zitronen und Erde und sie, und um mich herum versank die Welt, als sie das Gewicht verlagerte und mich mit dem kundigen Griff einer melkenden Bäuerin weg von ihrem hübschen Kleid in Richtung der unreifen Zitronen hielt. Alles passierte in weniger als einer Minute, ohne dass sie auch nur die Schleife in ihrem Haar lösen musste.
»Das hätten wir«, sagte sie.
Bis auf den heutigen Tag sind diese drei Worte das Schönste, Schmerzhafteste, Schrecklichste geblieben, das ich je gehört habe. Das hätten wir. Ich fing an zu weinen.
»Was ist denn?«, fragte sie.
»Mir tun die Füße weh.« Mehr brachte ich nicht heraus, doch natürlich weinte ich nicht wegen meiner Füße. Und obwohl ich überwältigt war von Dankbarkeit gegen Maria und von Bedauern und Sehnsucht und Erleichterung darüber, kurz vor dem Ende meines Kriegs noch am Leben zu sein, waren auch diese Dinge nicht der Grund für meine Tränen. Ich weinte, weil ich offenbar nicht der erste Wüstling war, den sie nur mit ihren Händen so wirkungsvoll und sanft zur Erfüllung gebracht hatte.
Ich weinte, weil hinter ihrer Schnelligkeit und Gewandtheit, hinter der meisterhaften Technik nur eine furchtbare Geschichte stecken konnte. Dieses Manöver musste sie nach Begegnungen mit anderen Soldaten gelernt haben, als sie zu Boden gestoßen wurde und nicht mehr in der Lage war, sich nur mit den Händen vor Schlimmerem zu bewahren.
Das hätten wir.
»O Maria …« Ich weinte. »Es tut mir leid.« Und ich war offensichtlich auch nicht der erste Wüstling, der in ihrer Gegenwart geweint hatte, denn sie wusste, was jetzt nötig war. Sie knöpfte das Oberteil ihres blauen Kleids auf und legte meinen Kopf zwischen ihre Brüste. »Schsch, Wisconsin, schsch«, wisperte sie. Ihre Haut war weich und buttersüß, so nass von meinen Tränen, dass ich noch mehr weinen musste, und wieder flüsterte sie: »Schsch, Wisconsin.« Und ich vergrub mein Gesicht zwischen diesen Brüsten, als wäre ihre Haut meine Heimat, als läge dort Wisconsin, und nie mehr habe ich einen herrlicheren Ort besucht als das schmale, gerippte Tal zwischen diesen lieblichen Hügeln. Nach einer Weile hörte ich auf zu weinen und konnte wieder ein wenig von meiner Würde zu rückgewinnen, und fünf Minuten später, nachdem ich ihr all mein Geld und meine Zigaretten gege ben, ihr meine ewige Liebe geschworen und meine bal dige Rückkehr versprochen hatte, humpelte ich beschämt zurück zu meinem Wachposten und erklärte meinem enttäuschten besten Freund Richards, der nicht mehr lang zu leben hatte, dass ich nichts anderes getan hatte, als sie nach Hause zu begleiten.
O Gott, das Leben ist kalt und morsch. Und doch ist es alles, was wir haben. Als ich mich in dieser Nacht in meinen Mumienschlafsack zurückzog, war ich nicht mehr ich selbst, sondern eine ausgebrannte Ruine, eine hohle Schale.
Jahre vergingen, und ich war immer noch eine hohle Schale, gefangen in diesem Moment, in dem Tag, an dem mein Krieg endete und an dem ich wie alle Überlebenden erkennen musste, dass am Leben sein nicht das Gleiche ist wie leben.
Das hätten wir.
Ein Jahr später, nachdem ich Richards’ Sohn die Luger gebracht hatte, kehrte ich in einer kleinen Bar in Cedar Falls ein und schlürfte einen der sechs Millionen Drinks, die ich seit damals gehoben habe. Die Barfrau fragte mich, was mich in die Stadt geführt hatte, und ich antwortete: »Hab meinen Jungen besucht.« Dann erkundigte sie sich nach ihm, nach diesem braven Fantasiesohn, dessen größter Fehler darin bestand, dass er nicht existierte. Ich erzählte ihr, dass er ein feiner Junge war und dass ich ein Kriegssouvenir für ihn dabeihatte. Das machte sie neugierig. Was war es denn? Welchen bedeutenden Gegenstand hatte ich meinem Sohn aus dem Krieg mitgebracht? Socken, erwiderte ich.
Doch letztlich habe ich aus meinem Krieg nur diese eine traurige Geschichte mitgebracht. Eine Geschichte, die davon handelt, dass ich überlebt habe und ein Besserer sterben musste. Eine Geschichte, die davon handelt, dass ich unter einem ausgefransten Zitronenbaum an einer schmalen Staubstraße vor dem Dorf R- auf himmlische Weise mit der Hand befriedigt wurde von einer Frau, die verzweifelt darauf aus war, nicht von mir vergewaltigt zu werden.
5
Eine Michael-Deane-Produktion
Unlängst
Hollywood Hills, Kalifornien
D er Deane von Hollywood ruht im Seidenpyjama auf einer Chaiselongue auf seiner Veranda und schlürft eine Fresca mit Ginseng, während sein Blick
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