Schöne Ruinen
der Kannibalismus kaum Bedeutung hatte; die Kälte, die Verzweiflung, das waren die eigentlichen Feinde. Tagelang marschieren sie weiter, und nur William Eddy verhindert den völligen Zerfall. Wieder sterben Männer, und die Gruppe isst, so viel sie kann, dann geht es weiter, bis nur noch neun übrig sind: vier von den ursprünglich zehn Männern und alle fünf Frauen. Zwei der Überlebenden sind indianische Scouts. Foster, außer Eddy der einzige noch verbliebene weiße Mann, will die Indianer erschießen, um sie zu essen. Aber Eddy warnt die Indianer, denen die Flucht gelingt, ehe Foster sie töten kann. Als Foster davon erfährt, greift er Eddy an, doch die Frauen gehen dazwischen.
Aber warum sterben die Männer, während die Frauen überleben? Weil die Frauen mehr Körperfett haben, von dem sie zehren können, und aufgrund des geringeren Gewichts beim Marschieren durch den Schnee weniger Energie verbrauchen. Ironie des Schicksals: die Männer fallen den eigenen Muskeln zum Opfer.
Achtzehn Tage. So lange ist die Gruppe unterwegs. Achtzehn Tage lang durch zehn Meter hohe Schneeverwehungen und Eis, das so hart ist, dass sie sich daran die Haut aufreißen. Sie sind nur noch sieben Skelette in Lumpen, als sie endlich unter die Schneegrenze gelangen. Im Wald erspähen sie einen Hirsch, doch William Eddy ist zu schwach, um das Gewehr zu heben. Ein herzzerreißendes Bild: Endlich hat William Eddy ein Wild vor sich, doch als er das Gewehr anlegen will, kann er nicht. Es rutscht ihm einfach aus der Hand. Sie ziehen weiter. Wie Tiere nagen sie Baumrinde und wildes Gras ab, um etwas zu sich zu nehmen. Und dann erblickt William Eddy eine Rauchfahne über einer Indianersiedlung. Die anderen können sich vor Schwäche nicht mehr bewegen, also lässt William Eddy sie zurück und geht allein weiter.
Man darf nicht vergessen, dass das alles noch vor dem Goldgräberboom von 1849 passiert. Kalifornien ist praktisch menschenleer. San Francisco ist ein Dorf mit ein paar Hundert Einwohnern und heißt Yerba Buena. Die Kamera hält auf eine Hütte am Gebirgsrand. Wir zoomen sie heran, um sie besser zu sehen: Idyllisch und friedlich liegt sie da, davor ein Bach, vereinzelt Schneeflecken. Die Einstellung wird größer und größer, und man erkennt, dass es sonst weit und breit kein Zeichen von Zivilisation gibt. Und dort, ganz am Rand des Bildes, sind zwei Rancher, die jemanden stützen. Wir fahren wieder darauf zu und sehen, dass die torkelnde, völlig ausgemergelte, barfüßige Gestalt mit wildem Bart und zerfetzter Kleidung niemand anders ist …
… als William Eddy! Die Rancher holen ihm Wasser. Ein wenig Mehl, mehr kann sein geschrumpfter Magen nicht vertragen. Tränen schießen ihm in die Augen. »Wir sind noch mehr … in einer Indianersiedlung in der Nähe«, berichtet er. »Sechs.« Eine Rettungsmannschaft wird losgeschickt. Er hat es geschafft. Von den fünfzehn, die aufgebrochen sind, um Hilfe zu holen, hat er Foster und die fünf Frauen in Sicherheit gebracht. Außerdem erzählt er den Ranchern von den anderen in den Bergen.
Doch das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Erster Akt, der Zug in die Berge; zweiter Akt, Abstieg und Flucht; dritter Akt, die Rettung. Eddy hat siebzig Menschen in den Bergen zurückgelassen, die auf Hilfe warten. Eine Rettungsmannschaft mit vierzig Männern wird zusammengestellt, an geführt von dem dicken, eingebildeten Kavallerieoberst Wood worth. Eddy und Foster sind zu schwach, um mitzuziehen, doch Eddy erwacht kurz in seinem Bett und sieht, wie Dutzende Leute an seiner Hütte vorbeireiten.
Als mehrere Tage später sein Fieber schließlich nachlässt, fragt er nach dem Rettungstrupp und erfährt, dass Woodworths Männer nur zwei Tagesreisen entfernt ihr Lager aufgeschlagen haben, um das Ende eines Schneesturms abzuwarten. Eine kleine Gruppe von sieben Männern ist bis zur Donner-Party vorgedrungen, doch sie sind bei der Überquerung des Passes fast gestorben und konnten lediglich ein Dutzend der gefangenen Pioniere retten, weil diese zu schwach waren, um den hohen Schnee zu passieren. Selbst gerettet zu werden bedeutete Gefahr, denn mehrere von ihnen starben auf dem Weg durch die Berge. Nach langem Schweigen fragt William Eddy: »Und meine Familie?«
Der Rancher schüttelt den Kopf. »Es tut mir leid. Deine Frau und deine Tochter waren schon tot. Dein Junge lebt noch, war aber zu klein für den Weg über den Pass. Sie haben ihn im Lager zurückgelassen.« William Eddy erhebt sich von
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