Schöne Sauerei: Ein Schweinekrimi (German Edition)
nicht auf die Seite gekippt, sondern hockte auf allen vieren am Boden, doch auch seine Augen waren geschlossen.
»Che, steh auf, bitte!«, rief Kim lauthals, obschon sie wusste, dass er sich nicht rühren würde. Sie lief zu Doktor Pik, der unter seinem Apfelbaum lag. Der alte Eber wirkte wie friedlich in den Schlaf gefallen, so als hätte er beinahe freudig den Tod begrüßt.
Kim sank zu seinen Klauen und leckte ihm über das eingefallene Gesicht. Verzweiflung machte sich in ihr breit. Was für eine heimtückische Krankheit hatte die Schweine so plötzlich erfasst?
»Doktor Pik«, flüsterte sie vor sich hin, »wieso habt ihr mich allein gelassen? … Niemand ist mehr da …« Ihre Stimme versagte. Nie in ihrem Leben war sie so traurig gewesen. Aber noch während die Verzweiflung ihr die Kehle zuschnürte, sprang ihr ein Gedanke in den Kopf. Das frische Brot, das am Morgen neben den Wannen gelegen hatte … Sie richtete sich auf und wandte den Kopf. Nichts – bis auf den letzten Krümel hatten die Schweine das Brot gefressen. Kim hatte mit ihrer düsteren Ahnung also recht gehabt – mit diesem Brot war etwas faul gewesen. Jemand hatte sie mit diesem Futter vom Leben zum Tod bringen wollen.
Ihr Herz krampfte sich zusammen – sie begann zu schluchzen und leise zu quieken. Von Doktor Pik rannte sie zu Che, dann zu Cecile und Brunst. Jedem leckte sie über die Schnauze, und dann, während sie immer atem-
loser und panischer wurde und gar nicht mehr wusste, was sie tun sollte, weil nur noch Tote um sie waren, entrang sich ihrer Kehle ein Schrei, der so lang und schrill war, wie ihn noch nie ein Schwein ausgestoßen hatte.
Sie schrie und schrie.
Bis plötzlich drei Gestalten vor ihr standen – Dörthe, erkannte sie, eine ängstliche, ratlose Dörthe in schwarzer Kluft und Sabeth, bleich, hektisch und ebenfalls voller Furcht, und der blonde James, der sie schließlich, weil sie sich gar nicht mehr beruhigen konnte, mit bloßen Händen in den Stall trieb.
15
Eine kleine Feder schwebte durch die Luft, sie war weiß und flauschig und völlig rein. Licht fiel auf die Feder, schien sie anzuziehen und in die Höhe zu heben. Taumelnd folgte die Feder dem Licht, tanzte hierhin und dorthin, unsicher, wohin sie nun treiben würde. Höher und höher hinauf zog es die Feder, das Licht wurde wärmer, wohliger, heimeliger.
Ich bin diese Feder, dachte Kim, meine Seele gleitet in dem Licht dahin. Nichts würde von ihr übrig bleiben. Doch dieser Gedanke bereitete ihr keine Sorge. So war es einfach; das Ende war eine Feder, die mit dem Licht davonsegelte. Ihre Seele würde sich irgendwo einen Platz suchen, der ihr gefiel.
Doch plötzlich schob sich ein Schatten vor dieses Licht; ein schwerer Gedanke an Lunke, an den toten Jan, daran, dass sie, Kim, noch ein paar Dinge erledigen musste.
Die Feder geriet ins Halbdunkel, taumelte, torkelte und sank langsam wieder herab.
Kim spürte ihre Enttäuschung. Warum stieg die Feder nicht weiter auf? Und wohin verschwand das Licht?
Wie aus weiter Ferne hörte sie ihren Namen.
»Kim«, sagte jemand. »Kim, bist du wach?«
Zwei braune Augen schauten sie sorgenvoll an, dann leckte eine raue Zunge über ihr Gesicht.
Doktor Pik – er war von den Toten auferstanden. Ach nein, sie befand sich nun ja ebenfalls im Totenreich. Schön, dass der alte Eber und sie auch im Jenseits zusammengehörten. Aber wieso war aus ihm keine Feder geworden?
»Kannst du aufstehen?«, fragte Doktor Pik heiser. »Hörst du mich?«
Kim nickte. Sie hatte einen Kopf, einen Körper – sie war gar keine Feder. Abrupt erhob sie sich, sank aber sogleich kraftlos zurück.
»Wir hätten auf dich hören sollen«, sagte Doktor Pik und wirkte schuldbewusst. »Du hattest recht – dieses Brot hat uns alle umgeworfen …« Er schnaufte. »Dörthe hat einen weißen Mann kommen lassen, einen Mann in einem Kittel, der uns gerettet hat. Irgendwie hat er es geschafft, uns wieder aufzuwecken. Nur …« Der alte Eber schluckte und wandte den Blick ab.
Kim versuchte auf die Beine zu kommen; ihr Kopf tat weh, und irgendetwas in ihr fühlte sich taub an. Sie hatte Durst; ihre Zunge klebte förmlich an ihrem Gaumen fest. Hatte man sie auch gerettet? Nein, sie hatte ja gar nichts von dem Brot gefressen. Ihr Blick fiel auf das einsame Buch vor dem Gatter. Deng, kam ihr in den Sinn, und dann hatte sie die Schweine wieder vor Augen, wie sie wie tot auf der Wiese gelegen hatten.
Doktor Pik blickte sie traurig an. Warum freute er sich
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