Schöne Sauerei: Ein Schweinekrimi (German Edition)
allen, denen er begegnete, recht viel Freude und Glück geschenkt hat … Wie ich erfahren habe, wuchs Jan unter schwierigen Bedingungen auf. Als er drei Jahre alt war, kamen seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Der Junge wurde einem Kinderheim übergeben, dort aber hat man sich rührend und liebevoll um ihn gekümmert, und er …«
»He«, Lunke stieß sie an, »warum willst du dir diesen ganzen Sermon anhören? Das ist doch langweilig. Wir könnten zum See laufen und uns wieder vertragen. Ich könnte dir über deine Wunde lecken, und dann …«
»Lass mich, Lunke!« Kim drängte ihn beiseite, dann fiel ihr auf, dass sie ihn wieder Lunke genannt hatte. Nun ja, ganz so streng sollte sie nun doch nicht zu ihm sein. »Ich muss wissen, ob Deng auch in der Halle sitzt«, fügte sie hinzu.
»Der Mensch mit den komischen Augen?« Lunke schleckte ihr über die rechte Braue; offenbar glaubte er, dass sie auf Versöhnung aus war. »Soll ich mal nachschauen gehen?«
Sie wandte abrupt den Kopf. »Mitten hinein, zu den Menschen?«
»Klar! Nur für dich, Babe, wenn wir uns dann wieder versöhnen.« Er grinste breit.
Kim musste ein Lächeln unterdrücken. Er brachte das fertig, aber nun hatte die Ansprache aufgehört. Eine andere Musik ertönte; eine sanfte, auf und ab schwingende Melodie wehte aus der Halle. Mitten in diese wunderschönen Klänge hinein trat Marten auf den Vorplatz und begann in sein kleines Telefon zu sprechen. Er redete so leise, dass Kim beim besten Willen nichts verstehen konnte; sein Gesicht wirkte ernst, aber irgendwie nicht unzufrieden.
»Ich möchte jetzt gehen«, quengelte Lunke.
»Gleich«, erwiderte Kim leise.
Marten steckte sein Telefon ein und verschwand in Richtung Parkplatz. Also war es ihm gar nicht darum gegangen, von dem toten Jan Abschied zu nehmen, folgerte Kim. Lunke neben ihr tat so, als wäre er eingeschlafen; er gab leise und übertriebene Schnarchgeräusche von sich, doch Kim ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Noch jemand hielt eine Ansprache: Sabeths Stimme ertönte zitternd und schwankend.
»Ich habe das noch nie jemandem erzählt«, begann sie, »wie ich Jan kennengelernt habe … Ich saß in einem Café. Gerade hatte mein Professor mit mir Schluss gemacht, hatte unser zwei Jahre währendes Verhältnis beendet – ein echter Drecksack, zwanzig Jahre älter, wollte zurück zu seiner Frau ins warme Ehebett kriechen.« Sabeth stockte; jemand hustete laut. »Ich habe überlegt, wie ich mich umbringen könnte, habe mir vorgestellt, wie ich mir in diesem Café auf der Stelle eine Glasscherbe in die Pulsadern stieß … Da ist Jan auf mich zugekommen. Ob ich auch Schauspielerin sei, hat er mich gefragt, er habe mich in einem Stück gesehen. Tatsächlich war ich kurz vorher in einem Studententheater aufgetreten. Seine Augen haben wie zwei Diamanten gefunkelt, er war so neugierig und interessiert … Wenn ich nicht in dieser düsteren Stimmung gewesen wäre, hätte ich mich gleich in ihn verliebt.«
»Dauert es noch lange?«, fragte Lunke nörgelnd an ihrer Seite.
»Leise!« Kim verpasste ihm einen unwirschen Stoß.
In der Halle schien jeder den Atem anzuhalten; jedenfalls drang kein Laut nach draußen.
Dann sagte Sabeth mit einer anderen, viel festeren Stimme: »Ich kannte Jan, gewiss, er war manchmal deprimiert, wenn ihm Dinge nicht gelangen, wie er wollte, aber ich glaube nicht, dass er sich umgebracht hat. Ich … ich werde seinen Mörder finden, so wahr ich ihn geliebt habe und immer noch liebe.«
Kim vernahm ein leises Raunen, dann erhob der grauhaarige Mann zögernd wieder seine Stimme und sprach etwas von einem Vater, der sie alle segnen würde.
»Was ist los?« Lunke begann lustlos zu scharren. »Wieso bist du so aufgeregt? Worum geht es denn eigentlich?«
Um Liebe, wollte Kim entgegnen, darum, dass ein Mensch einen anderen geliebt hat, aber das würde Lunke wohl kaum verstehen.
Endlich traten die Menschen aus der Halle; vier Männer mit ernsten Gesichtern trugen einen großen schwarzen Kasten, in dem sich vermutlich der tote Jan befand. Sabeth folgte dem grauhaarigen Mann, der ganz in ein wehendes schwarzes Gewand gehüllt war; sie hatte sich bei Dörthe eingehakt. Beiden Frauen liefen Tränen übers Gesicht. Andere Menschen schritten ihnen langsam nach; junge und ältere Frauen, ebenfalls in Schwarz, mittelalte, verschlossen aussehende Männer, zwei glatzköpfige Männer, die gebeugt gingen; drei jüngere waren in eine schwarze Lederkluft gekleidet.
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