Schöne Scheine
nur gehängt.
Er hätte gleich am allerersten Tag mit einem Alchimisten und einem Anwalt im Schlepptau in den Keller gehen sollen. Wurde in den Kellerräumen niemals Inventur gemacht? Geschah das vielleicht durch eine Horde halbwegs anständiger Kerle, die mal kurz in der Gruft von irgendwelchen anderen Kerlen vorbeischauten und möglichst schnell unterschrieben, um nicht das Mittagessen zu verpassen? Man konnte doch nicht dem Wort eines anständigen Kerls misstrauen! Insbesondere, wenn man nicht wollte, dass er einem selbst misstraute.
Vielleicht hatte der verblichene Sir Joshua alles für exotische Lederwaren und junge Damen ausgegeben. Wie viele Nächte in den Armen schöner Frauen konnte man sich für einen Sack Gold kaufen? Eine gute Frau war sprichwörtlich nicht mit Gold aufzuwiegen, also musste man für ein schlimmes Mädchen möglicherweise noch viel mehr hinlegen.
Feucht setzte sich auf und entzündete die Kerze. Und dabei fiel sein Blick auf Sir Joshuas Tagebuch, das auf seinem Nachttisch lag.
Vor vierzig Jahren ... jedenfalls war es der richtige Jahrgang, und da er im Moment sowieso nichts Besseres zu tun hatte ...
Das Glück, das ihn den ganzen Tag lang im Stich gelassen hatte, kehrte nun zu ihm zurück. Obwohl er gar nicht genau wusste, wonach er eigentlich suchte, fand er den Eintrag schon auf der sechsten zufällig aufgeschlagenen Seite:
Heute kamen zwei seltsam aussehende Leute in die Bank und fragten nach dem jungen Beuge. Ich forderte das Personal auf, sie fortzuschicken. Er macht sich außerordentlich gut. Man fragt sich, was er erlitten haben muss.
Ein recht großer Teil des Tagebuchs schien in einer Art Geheimcode abgefasst zu sein, aber die Natur der Symbole deutete darauf hin, dass Sir Joshua penibel jede amouröse Affäre verzeichnet hatte. Wenigstens musste man ihn für seine Direktheit bewundern. Er hatte festgestellt, was er vom Leben haben wollte, und sich vorgenommen, so viel wie möglich davon zu bekommen. Feucht musste vor diesem Mann den Hut ziehen.
Und was hatte er eigentlich gewollt? Er hatte niemals richtig darüber nachgedacht. Hauptsächlich wollte er, dass es morgen anders als heute wurde.
Er blickte auf die Uhr. Viertel nach vier, und außer den Wachen war niemand in der Nähe. An allen größeren Türen standen Wächter. Feucht stand tatsächlich nicht unter Arrest, aber hier handelte es sich um ein typisches zivilisiertes Arrangement: Er stand so lange nicht unter Arrest, wie er nicht versuchte, sich wie jemand zu verhalten, der nicht unter Arrest stand.
Ach ja, dachte er, als er sich die Hose anzog, es gab da noch einen anderen Vorzug: Er war dabei gewesen, als Herr Quengler dem Werwolf einen Heiratsantrag gemacht hatte ...
... dem Werwolf, der zu diesem Zeitpunkt auf einer der hohen, verzierten Urnen balancierte, die wie Pilze auf allen Gängen der Bank zu wachsen schienen. Sie schaukelte hin und her. Genauso wie Korporal Nobbs, der sich vor Lachen schüttelte über ...
... Herrn Quengler, der mit bewundernswertem Enthusiasmus auf und ab hüpfte. Doch er hatte immer noch sein neues Spielzeug im Maul, und irgendwie war es auf mysteriöse Weise plötzlich zum Leben erwacht, und das Schicksal wollte es so, dass seine Vibrationen den kleinen Hund bei jedem Sprung dazu zwangen, in der Luft einen langsamen Purzelbaum zu schlagen.
Und Feucht dachte: Also ist der Werwolf weiblich und hat das Abzeichen der Wache am Kragen, und ich habe diese Haarfarbe schon einmal gesehen. Ha!
Doch sein Blick war sofort zu Herrn Quengler zurückgekehrt, der immer wieder sprang und sich überschlug, mit dem Ausdruck völliger Glückseligkeit im kleinen Hundegesicht...
... und dann hatte Hauptmann Karotte ihn in der Luft aufgefangen, die Werwölfin hatte die Flucht ergriffen, und die Show war vorbei gewesen. Aber die Erinnerung an diese Szene würde er für immer mit sich tragen. Wenn er das nächste Mal Feldwebel Angua begegnete, würde er leise knurren, obwohl das möglicherweise schon als Tätlichkeit zählte.
Als er nun vollständig angekleidet war, unternahm er einen Spaziergang durch endlose Korridore.
Die Wache hatte für die Nacht viele neue Wachleute in die Bank abkommandiert. Hauptmann Karotte war nicht dumm, das musste man ihm lassen. Es waren Trolle. Es war nicht einfach, einen Troll von etwas zu überzeugen.
Er spürte, dass er überall, wohin er auch ging, von ihnen beobachtet wurde. An der Tür zur Krypta stand keiner, aber Feucht verlor den Mut, als er sich dem
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