Schöne Scheine
vom Haken. Dann kehrte er ins Büro zurück und legte sie in eine Schublade, in der sie unverzüglich festklemmte, schließlich war das die Hauptfunktion aller Schöpfkellen dieser Welt. Er musste nur an der Schublade rütteln. Offensichtlich machte er die Göttin durch dieses Geräusch auf sich aufmerksam.
»Oh, Anoia«, sagte er und zerrte am Schubladengriff, »ich bin es, Feucht von Lipwig, reuiger Sünder. Ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst. Wir, das heißt, wir alle, sind bloße Werkzeuge, die in Schubladen feststecken, die wir uns selber gebaut haben, und das gilt ganz besonders für mich. Ich weiß, dass du sehr viel zu tun hast, aber wenn du trotzdem etwas Zeit finden könntest, mich in der Stunde der Not aus meiner Klemme zu befreien, werde ich dir gegenüber nicht mit Dankbarkeit geizen, oh ja, insbesondere, wenn wir das Dach des neuen Postamts mit Götterfiguren schmücken. Die Steinkrüge auf dem alten Dach haben mir nie gefallen. Selbstverständlich mit Blattgold überzogen, die Figuren, meine ich. Meinen ergebensten Dank im Voraus. Amen.«
Er zerrte ein letztes Mal an der Schublade. Die Schöpfkelle sprang heraus, flog vibrierend wie ein Flusslachs durch die Luft und zertrümmerte eine Vase in der Ecke.
Feucht entschied, das als hoffnungsvolles Zeichen zu interpretieren. Angeblich sollte es nach Zigarettenrauch riechen, wenn Anoia in der Nähe war, aber da sich bereits Adora Belle länger als zehn Minuten in diesem Zimmer aufgehalten hatte, wäre es völlig sinnlos gewesen zu schnuppern.
Was nun? Die Götter halfen denen, die sich selbst halfen, und es gab immer noch eine lipwigfreundliche Option, die ihm sofort in den Sinn kam: Improvisieren.
Kapitel 10
Stilvolle Lösung - »Der Bankdirektor macht Wauwau« - Paul König legt was auf die hohe Kante - Das Geschrei geht los - Ein Kuss ohne Zunge - Kriegsrat - Feucht nimmt das Ruder in die Hand - Ein bisschen Zauber mit Briefmarken - Das Interesse des Professors wecken - Eine Vision des Paradieses
Improvisieren! Die letzte Möglichkeit. Erinnerst du dich noch an die goldliche Kette? Hier ist das andere Ende des Regenbogens. Rede dich aus einer Sache heraus, aus der du dich nicht herausreden kannst. Sei deines eigenen Glückes Schmied. Zieh eine Show ab. Wenn du fällst, zeig ihnen, wie du daraus einen Hechtsprung machst. Manchmal ist die beste Stunde die letzte Stunde.
Er ging zum Kleiderschrank und nahm den besten goldenen Anzug heraus, den er nur zu besonderen Anlässen trug. Dann suchte er nach Gladys, die aus einem Fenster starrte.
Er musste ihren Namen recht laut aussprechen, bevor sie sich ganz langsam zu ihm umdrehte.
»Da Kommen Sie«, sagte sie.
»Ja«, sagte Feucht, »und deswegen sollte ich mich in Schale schmeißen. Könntest du mir bitte diese Hose bügeln?«
Wortlos nahm Gladys ihm die Hose ab, hielt sie gegen eine Wand und strich mit einer breiten Hand darüber, bevor sie sie ihm zurückgab. Mit der Bügelfalte hätte man sich rasieren können. Dann wandte sie sich wieder dem Fenster zu.
Feucht trat neben sie. Vor der Bank hatte sich bereits eine Menschenmenge versammelt, und er sah, wie weitere Kutschen hielten. Auch etliche Wachleute hatten sich draußen postiert. Ein kurzer Blitz deutete darauf hin, dass Otto Chriek von der Times bereits Bilder machte. Und es wurde auch schon eine Abordnung gebildet. Die Leute wollten das Ende aus nächster Nähe miterleben. Früher oder später würde jemand gegen die Tür hämmern. Mist. Das durfte er nicht zulassen.
Waschen, rasieren, Nasenhaare stutzen, Zähne putzen. Haare kämmen, Stiefel wienern. Hut aufsetzen, die Treppe runtergehen, ganz langsam die Tür aufschließen, damit man das Klicken draußen nicht hörte, warten, bis sich Schritte näherten ...
Feucht öffnete abrupt die Tür.
»Ja, meine Herren?«
Cosmo Üppig schwankte, als sein Klopfversuch ins Leere ging, fand aber schon bald das Gleichgewicht wieder und streckte ihm einen Zettel hin.
»Krisenkonferenz«, sagte er. »Diese Herren« - dabei zeigte er auf mehrere würdevoll aussehende Männer, die hinter ihm standen — »sind Vertreter der größeren Gilden und einiger anderer Banken. Das ist die übliche Vorgehensweise, und du darfst ihnen nicht den Zugang verwehren. Dir ist bestimmt aufgefallen, dass wir auch Kommandeur Mumm von der Wache mitgebracht haben. Wenn wir festgestellt haben, dass sich kein Gold mehr in der Kammer befindet, werde ich ihn auffordern, dich wegen
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