Schöne Scheine
jeden Fall war er wirklich der Postminister, und er hatte wirklich alle Schlüssel.
Es war nur noch eine Stunde bis Sonnenaufgang. Heute würde er sowieso keinen Schlaf mehr finden. Er konnte genauso gut offiziell aufstehen und an seinem Ruf arbeiten, fleißig zu sein.
Sie hätten mich durchaus von der Wand schießen können, dachte er, als er sich ein Hemd aussuchte. Sie hätten mich dort hängen lassen und Wetten abschließen können, wie lange es dauern würde, bis ich den Halt verliere. Das wäre typisch Ankh-Morpork gewesen. Er hatte einfach nur Glück gehabt, dass sie beschlossen hatten, ihm eine ordentliche Tracht Prügel zu verpassen, bevor sie ihn der Gilde durch den Briefschlitz zustellten. Und das Glück kommt nur zu denjenigen, die ihm einen Platz einräumen ...
Dann pochte es kräftig, aber doch irgendwie höflich an die Tür.
»Bist Du Salonfähig, Herr Lipwig?«, dröhnte eine laute Stimme.
Bedauerlicherweise ja, dachte Feucht, sagte aber: »Komm rein, Gladys.«
Die Fußbodendielen knarrten, und das Mobiliar auf der anderen Seite des Zimmers wackelte, als Gladys eintrat.
Gladys war ein Golem, ein Mann aus Ton (beziehungsweise, um einer komplizierten Diskussion vorzubeugen, eine Frau aus Ton) und über zwei Meter groß. Sie - nun ja, mit einem Namen wie »Gladys« war »es« undenkbar, und »er« passte einfach nicht - trug ein sehr großes blaues Kleid.
Feucht schüttelte den Kopf. Diese ganze alberne Angelegenheit war eigentlich nur eine Frage der Etikette gewesen. Fräulein Makkalariat, die mit einem Willen aus Stahl und einer Stimme aus Messing über die Schalter des Postamts regierte, hatte Anstoß daran genommen, dass ein männlicher Golem die Damentoiletten putzte. Wie Frau Makkalariat zur Schlussfolgerung gelangt war, dass Golems von Natur aus männlich waren und nicht bloß der Einfachheit halber so bezeichnet wurden, war ein faszinierendes Mysterium, aber es hatte keinen Sinn, mit einer Person wie ihr darüber zu diskutieren.
Doch durch die Ausstattung mit einem bedruckten Baumwollkleid in Übergröße wurde ein Golem weiblich genug, um von Frau Makkalariat als Frau anerkannt zu werden. Das Seltsame daran war, dass Gladys jetzt tatsächlich weiblich war, jedenfalls irgendwie. Es lag nicht nur am Kleid. Sie verbrachte viel Zeit mit den Schaltermädchen, die sie offenbar ungeachtet der Tatsache, dass sie eine halbe Tonne wog, in ihre weibliche Gemeinschaft aufgenommen hatten. Sie liehen Gladys sogar ihre Modezeitschriften aus, obwohl man sich nur schwer vorstellen konnte, was Hautpflegetipps für die Winterzeit für jemanden bedeuteten, der eintausend Jahre alt war und Augen hatte, die wie Löcher in einem Glutofen leuchteten.
Und nun fragte sie ihn, ob er salonfähig war. Wie wollte sie so etwas überhaupt beurteilen können?
Sie hatte ihm eine Tasse Tee und die Stadtausgabe der Times mitgebracht, noch feucht von der Druckerpresse. Beides wurde mit großer Sorgfalt auf dem Tisch platziert.
Und ... oh Götter, sie hatten sein Bild gedruckt! Ein richtiges Bild von ihm! Von ihm und Vetinari und diversen Honoratioren, wie sie gestern Abend zu dem neuen Kerzenleuchter emporgeschaut hatten! Es war ihm gelungen, sich ein wenig zu bewegen, sodass das Bild etwas verschwommen war, aber es war trotzdem das Gesicht, das ihm jeden Morgen aus dem Rasierspiegel entgegenblickte. Von hier bis Gennua gab es überall Leute, die von diesem Gesicht betrogen, beschwindelt, übertölpelt und angeschmiert worden waren. Das Einzige, was er noch nicht getan hatte, war, Leute zu behumsen, aber das lag nur daran, dass er noch nicht heraus gefunden hatte, wie das ging.
Nun gut, er hatte so etwas wie ein Allzweckgesicht, das einen an viele andere Gesichter erinnerte, aber es war schon ziemlich unangenehm, es unwiderruflich gedruckt zu sehen. Manche Leute glaubten, dass Bilder einem die Seele raubten, aber es war seine Freiheit, die Feucht in diesem Moment am Herzen lag.
Feucht von Lipwig, die Stütze der Gesellschaft. Ha!
Etwas veranlasste ihn, sich das Bild genauer anzusehen. Wer war der Mann hinter ihm? Er schien über Feuchts Schulter zu blicken. Feistes Gesicht, kleiner Bart, der fast wie der von Lord Vetinari aussah. Doch der Patrizier trug einen Spitzbart, wohingegen der des anderen Mannes wie das Ergebnis einer missglückten Rasur aussah. Sicherlich jemand von der Bank. An jenem Abend hatte es so viele Gesichter gegeben, so viele Hände, die geschüttelt werden mussten, und jeder hatte mit aufs Bild
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