Schoener Schlaf
zukünftige Heimat zeigte. Langsam freute er sich auf sein neues Leben in Brasilien. Als kleiner Junge hatte ihn seine Mutter auf eine Tournee dorthin mitgenommen. In Manaus am Amazonas hatte der kleine Leon vor dem geschlossenen Teatro Amazonas gestanden und sich vorgestellt, dass Maman darin singen oder tanzen würde. Die Geschichte des berühmten Opernhauses hatte ihn nie losgelassen. Ein Opernhaus im Dschungel, finanziert von Geldern der Kautschukbarone. Inzwischen wurde das Haus wieder bespielt und Manaus hatte sich längst vom Niedergang des Kautschukbooms erholt. Heute kamen die Touristen hauptsächlich wegen des dichten Regenwaldes. Manaus war der richtige Ort für ihn.
*
»Wir haben einen Hinweis von Interpol erhalten.« Akif Neumann stürzte in Kants Büro. »Eine Angestellte der Fluggesellschaft hatte auf dem Madrider Airport einen Streit mit Fabry wegen eines beschädigten Gepäckstücks. Sie hat ihn auf dem Fahndungsfoto erkannt. Jetzt kennen wir den Namen, den er benutzt: Carlos Montoya.«
»Hoffen wir, dass er noch in Madrid ist«, ergänzte Kant.
»Flughäfen, Bahnhöfe, Mietwagenfirmen, Banken und Polizeidienststellen sind informiert. An den Hotels und Feriensiedlungen sind die spanischen Kollegen dran. In der Gegend gibt es einfach zu viele Angebote für Touristen. Aber wenn er Madrid mit dem Flieger verlassen will, haben wir gute Chancen, ihn zu erwischen«, behauptete Neumann.
*
Der Lieferwagen hielt vor der Kunsthalle. Ein Bote stieg aus, betätigte die Schiebetür, holte ein flaches Paket heraus und begab sich zum Empfang.
»Paket für eine Frau Anna Stern«, sagte der Mann und schob das Teil über den Tisch. »Gibt es die Dame bei Ihnen?«
Die Empfangsdame bejahte, griff nach dem Karton und legte ihn neben den Eingangskorb.
»Ihre Unterschrift«, sagte der Bote, hielt ihr ein elektronisches Gerät und eine Art Stift hin, mit dem sie einen krakeligen Namen malte. Der Paketbote verschwand.
Ach, Mist, die Stern ist ja noch nicht wieder zurück, fiel der Empfangsdame ein. Sie betrachtete das Paket und beschloss, es später bei Dr.  Sucher abzugeben. Sie wandte sich wieder der Zeitung und ihrem Käsebrötchen zu.
Wenig später erschien Angelo Salieri zum Dienst. Ganz der Italiener, machte er der Empfangsdame ein Kompliment zu ihrer Frisur und wünschte ihr einen angenehmen Tag.
»Warten Sie«, rief sie ihm nach. »Eben ist ein Paket für Frau Stern angekommen. Wann kommt die denn wieder?«
Salieri war wie elektrisiert. Er lieà sich das Paket zeigen, horchte es ab, schüttelte es und las den Paketschein. Es war in Holland abgeschickt worden und als Absender war ein Joannis ver Meer, Delft, Oude Langendijk angegeben.
Salieri lief es kalt über den Rücken. Es handelte sich um den zeitgenössischen Namen von Jan Vermeer und auch die Adresse war korrekt. Vor dreihundertfünfzig Jahren war das Vermeers Anschrift gewesen.
»Ich kümmere mich darum«, sagte er und nahm das Paket an sich.
Von seinem Büro aus informierte er Sucher und Anna Stern über die merkwürdige Sendung.
Anna wiederum setzte sich unverzüglich mit Kant in Verbindung.
Anna, Salieri und Sucher warteten im Polizeipräsidium auf das Ende der Untersuchung. Nach einer Stunde wurde das Paket von der Polizei als nicht explosiv eingestuft. Ein Beamter mit Mundschutz und Latexhandschuhen riss das Papier herunter. Eine Holzkiste erschien. Sie lieà sich leicht öffnen. Das Innere war gepolstert und enthielt einen viereckigen Gegenstand, der in ein Leinentuch gehüllt war. Der Polizist schlug das Tuch zurück.
»Ein Bild«, meinte er enttäuscht.
Annas Herz machte einen Aussetzer. Vor ihr lag der Vermeer! Wunderschön, von Ãbermalungen befreit und unversehrt.
*
Auch Henri Goldstein reagierte auf die Nachricht euphorisch. Der Vermeer war wieder da. Sucher hatte ihm neue Fotos gemailt und ihm die Umstände mitgeteilt: ein Paket für Frau Stern an die Adresse der Kunsthalle, abgeschickt von Vermeer persönlich!
Frau Leist ist meinem Rat offenbar gefolgt, dachte Goldstein. Aber wo hat sie das Gemälde bearbeiten lassen?
Goldstein informierte die Inhaber des Auktionshauses und die Fachkollegen der Firma. Begeisterung bei allen. Ganz Sothebyâs war hin und weg.
Goldstein rief Sucher wieder an.
»Will Frau Stern verkaufen?«
»Ich weià es nicht. Sie hat gerade etwas
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