Schoener Schlaf
Busch nahm die Unterlagen und trollte sich.
Kant tippte die sechs Zahlen, die er auf dem Werbezettel gefunden hatte, ins Telefon. Es handelte sich um die Privatnummer einer Belinda Stork. Schnell bekam der Kommissar heraus, dass die Frau die Vorsitzende des Bühnenvereins war, der jeden Sommer die Freilichtbühne im hügeligen Süden der Stadt bespielte. Dieses Jahr stand Der eingebildete Kranke von Molière auf dem Spielplan, eine Komödie â so war es dem Flugblatt zu entnehmen.
Kant erklärte Belinda Stork die Lage und nannte den Namen der Toten.
»Sagt mir nichts«, lautete die Antwort.
»Gibt es in dem Stück eine Rolle für eine junge Frau?«
»Die gibt es in fast jedem Stück«, erwiderte Stork. »Die Frauenrollen waren früher wenig variabel. Entweder gab es die komische Alte, das naive Dummchen oder die jugendliche Geliebte. Um welchen Typ handelt es sich denn bei der Toten?«
»Eher den Letzteren, schätze ich.«
»Die Angélique also. Die habe ich in dieser Spielzeit mit Jessica Müller besetzt.«
»Jessica Müller?«
»Ja. Kennen Sie die etwa? Hat sie was mit der Sache zu tun?«, fragte Belinda Stork.
»Das weià ich nicht«, antwortete Kant. »Kann ich Ihnen ein Foto von Maja Schneider mailen?«
»Warum nicht«, sagte Stork. »Ich hoffe nur, dass die Premiere nicht gefährdet ist. Die Zweitbesetzung ist bei Weitem nicht so brillant wie Jessica.«
Kant mailte das Foto und erhielt kurz danach den Rückruf der Theaterfrau.
»Das ist Jessica!«, rief Stork aufgeregt.
»Nein. Das ist Maja Schneider.«
»Dann hat sie mir einen falschen Namen genannt. Warum macht sie das? Was hat das für einen Sinn?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht beantworten«, erklärte Kant. »Wie haben Sie Maja Schneider kennengelernt?«
»Sie kam zu einer unserer Sitzungen. Die Bühne wird von einem Verein getragen. Sie sprach mich an und fragte, ob sie mitmachen könne. Da ich gerade den Molière vorbereitete, sah ich sie sofort in der Rolle der Angélique. Und die ersten Proben liefen verdammt gut. Sie war sehr engagiert und hat ihre Sache hervorragend gemacht. Mein Gott, ermordet! Wer tut so was?«
»Die Frage versuche ich zu klären. Können wir uns treffen?«
Sie verabredeten sich an der Freilichtbühne.
Kant blickte ins Tal hinab. In die hügelige Landschaft eingebettet befand sich eine Plattform, die als Bühne diente. Davor schmale lange Holzbänke für die Zuschauer. An hohen Bäumen klebten Werbezettel für den Eingebildeten Kranken. Der Weg zur Bühne war durch eine Stahltür gesichert. Es war ruhig hier, nur ab und zu war in der Ferne ein Motorengeräusch zu hören, Grillen zirpten, eine Gabelweihe nutzte die Aufwinde und schwebte über dem Tal.
Der Kommissar hörte, wie sich ein Fahrzeug näherte. Eine kleine, mollige Rothaarige entstieg einem Sportwagen und stürzte auf ihn zu, eine Zeitung in der Hand.
»Sorry, dass ich zu spät bin«, meinte sie. »Dieser Mord ist ja eine schreckliche Tragödie. Ich war ein paar Tage nicht da und habe gar nichts davon mitgekriegt. Wer bringt eine so nette, junge Frau um? Erstochen, richtig? So steht es hier in der Zeitung.«
»Kam Maja Schneider allein zu den Proben oder brachte sie mal jemanden mit?«, ging Kant gar nicht auf das Geplapper ein.
»Sie war immer allein«, gab die Theaterfrau an. »Ich habe sie gefragt, ob sie einen Freund habe oder einen Mann. Aber sie hat mir keine Antwort gegeben. Sie hat ohnehin nicht viel von sich erzählt.«
Kant zog die Kostümfotos aus der Jacke. »Was können Sie mir zu dem Kleid hier sagen? Kennen Sie es?«
Belinda Stork sah sich die Bilder genau an. »Nein, das ist keins von unseren. Wir lassen Kostüme selten neu anfertigen. Die Vereinsdamen nähen meist Vorhandenes um. Das Ergebnis ist dann zwar nicht immer historisch korrekt, aber das merkt unser Publikum gar nicht. Wir können keine Kostümschneiderei beauftragen â das käme viel zu teuer. Wir lassen uns aber manchmal von einer alten Dame beraten, einer Kostümbildnerin. Jessica kannte sie übrigens auch. O je. Sie hieà ja wohl Maja. Jedenfalls war sie hin und weg von der Frau, ihrem Laden und den alten Geschichten. Die alte Dame heiÃt Luise Kranach.«
»Wo wohnt sie?«
»In Berghof.«
Eine Kostümschneiderin. Endlich mal ein
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