Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
das Tadj Mahal und … die Mandelbrot-Menge! Es war eine überaus gewagte Aussage, und zu meiner Freude lernte ich ihn kurz darauf persönlich kennen. Wir haben zusammen interessante Zeiten erlebt, was ernsthafte öffentliche Diskussionen einschließt.
Charles Wuorinen ist ein weiterer, weithin bekannter zeitgenössischer Komponist, der Frakalität begreift. Er sagte gern, er habe zur Komposition für einige Zeit einen fraktalen Ansatz genutzt. Ihm war bewusst, dass ein großer Teil der westlichen Musik ähnliche Strukturen auf unterschiedlichen Zeitskalen einsetzt. Im Guggenheim Museum veranstalteten Wuorinen und ich 1990 eine außergewöhnliche Vorführung, die sich »Musik und Fraktale« nannte. Es ist faszinierend zu sehen, wie zwei Leute aus so unterschiedlichen Kulturen kooperieren können, wenn sie sich wirklich dazu entschließen.
Zusammenhanglose Taten oder eine einheitliche fraktale Annäherung an die Rauheit?
Der britische Philosoph und Mann der Tat – ich lernte ihn kennen – Isaiah Berlin (1909–1997) hat über die Unterscheidung geschrieben, die der antike griechische Autor Archilochus vornahm: zwischen dem Fuchs, der vieles weiß, und dem Igel, der lediglich eine große Sache kennt. Kollegen, die mich vor einem Vortrag ankündigen sollten, fragten mich einst häufig, ob ich mich selbst als Fuchs oder als Igel betrachtete. Der Witz dabei ist, dass sie an mir beide Gesichter erkannten.
Die weiter unten abgebildete Marmorskulptur zeigt Janus, den römischen Gott der Pforten und Tordurchgänge. Man glaubte, er habe zwei entgegengesetzte und zwiespältige Gesichter – eines, das beurteilt und vielleicht verwirft, und eines, das einlädt und anzieht. Die zwei Gesichter sind auch ein angemessenes Bild für eine der größten Leistungen der Menschheit – und mein Studiengebiet –, die Wissenschaft der Mathematik im weiteren Sinn. Ihre abweisenden Züge stellen das Gesicht des Puristen dar, eines Spezialisten, der sich etwas auf Vorstellungen einbildet, die von der Mehrheit der Menschen als trocken, kalt und langweilig angesehen werden. Ihr lächelndes Gesicht zeigt sich als etwas unscharfe Überlagerung vieler Rollen, welche die Mathematik in den Mühen und Freuden des täglichen Lebens spielt: Architektur, Ingenieurswissenschaften und Kunst. Symbolisch blicken sie gleichzeitig in die Zukunft und in die Vergangenheit.
Ich bin selbst ein treuer Diener der Mathematik – auch wenn ich den Ruf habe, für Turbulenzen zu sorgen –, und ich habe stets gegen diese beiden in entgegengesetzte Richtungen blickenden Gesichter rebelliert. Ich war sehr erfreut, als ich erfuhr, dass die beiden Gesichter viele Jahrhunderte zuvor in dieselbe Richtung gewiesen hatten – es herrschte Frieden, und das brachte glänzende Resultate hervor.
Die fraktale Geometrie gehört zu den Vorstellungen, die zunächst Unglauben hervorrufen, aber wenn man näher darüber nachdenkt, fragt man sich, warum sie erst kürzlich entwickelt worden ist.
Echte Rauheit ist häufig fraktal und kann gemessen werden
Das vorrangige Maß für Rauheit ist die fraktale Dimension. Die einfachste Form der fraktalen Dimension ist die Ähnlichkeitsdimension, und deren früheste bildliche Darstellung hat Helge von Koch geliefert. Da die Koch-Kurve die Länge unendlich aufweist, fing sie als eines jener Monster an – oder als eines der Spielzeuge, wie ich sie nenne. Die fraktale Geometrie brachte das Wunder zutage, indem sie die Koch-Kurve dazu benutzte, Küstenlinien darzustellen und dann die Natur zu meistern. Ein noch unheimlicheres Monster erschien, als Giuseppe Peano eine »Kurve« konstruierte, die jeden Punkt der Ebene aufsucht. Sie sorgte für einen Sturm unter Mathematikern und eine tiefe Spaltung zwischen extremen Puristen und denen, die sich für die reale Welt interessieren. Eine allgemein vertretene Meinung besagte, die Peano-Kurve sei absolut nichtintuitiv und extravagant. Darin äußerte sich keine Enttäuschung, sondern großer Stolz seitens der reinen Mathematiker. Die folgende Abbildung vereint die Koch-Kurve (Umriss bzw. Küstenlinien) und die Peano-Kurve (Flüsse oder Netz der Adern auf der Oberfläche des Planeten).
© Mark R. Raff und Sigmund Handelman
Ich hatte das unvorstellbare Privileg, an einem wahrhaft seltenen Ereignis teilzunehmen: Das reine, vor der Wirklichkeit fliehende Denken wurde eingefangen, gebändigt und mit einer Wirklichkeit zusammengespannt, die jedermann als vertraut erkannte. Monster wurden in Diener
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