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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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etwas, das ich nie mehr vergaß: »Sie machen das sehr gut, aber Sie schlagen einen einsamen und schwierigen Weg ein. Ständig eilen Sie von einem Gebiet zum nächsten, führen ein unstetes Leben und kommen nie zur Ruhe, um sich an dem zu erfreuen, was Sie erreicht haben. Ein rollender Stein setzt kein Moos an. Hinter Ihrem Rücken hält man Sie für vollkommen verrückt. Das glaube ich überhaupt nicht, und Sie müssen das fortsetzen, was Sie machen. Die ernsteste geistige Krankheit eines denkenden Menschen ist, nicht zu wissen, wer er ist. An diesem Problem leiden Sie niemals. Sie müssen sich nie neu erfinden, um sich geänderten Umständen anzupassen; Sie gehen einfach voran. In dieser Hinsicht sind Sie der Vernünftigste von uns allen.«
    Gelassen erwiderte ich, ich würde keineswegs von einem Gebiet zum anderen eilen, sondern vielmehr an einer Theorie der Rauheit arbeiten. Ich war nicht der Mann mit dem großen Hammer, für den jedes Problem wie ein Nagel aussieht. Hatte er mir ein Kompliment machen oder mir nur Mut machen wollen? Ich kam bald dahinter: Er hatte mich für eine wichtige Auszeichnung vorgesehen.
    Ist es mit geistiger Gesundheit vereinbar, wenn man von kaum gezügelter Rastlosigkeit besessen ist? In Dantes Göttlicher Komödie werden die zu ewiger Suche verdammten Verstorbenen in die tiefste Hölle des Infernos gestoßen. Für mich dagegen führte eine ewige Suche quer durch zahllose Gebiete der Wissenschaft ohne erkennbare Verknüpfung dann doch in der Summe zu einem glücklichen Leben. Möglicherweise ein rollender Stein, aber nicht teilnahmslos. Überaktiv und aus eigenem Antrieb handelnd, liebte ich es weiterzuziehen; ich hielt inne, um in Laienklöstern aller Art zuzuhören und zu predigen – manche waren glanzvoll und stolz, andere verlassen und abgelegen.
    Im Alter von 20 Jahren war ich einer von 20 Auserwählten, die an der exklusivsten Universität Frankreichs zugelassen wurden – der École Normale Supérieure. Als ich mit 80 in Ruhestand ging, war ich Inhaber der Sterling-Professur an der mathematischen Fakultät von Yale – und zählte damit zu den etwa 20 Personen im höchsten Rang der Universität. Die Bedingungen, unter denen ich ins »aktive Leben« eintrat, waren letztlich ebenso exklusiv und unumstritten wie die, unter denen ich es verließ. Und unterwegs habe ich durchaus einiges an »Moos« angesetzt.
    Nach meinem 35.Lebensjahr – einem Wendepunkt – ist mein Leben in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich, aber fruchtbar verlaufen. Das erinnert mich an das Märchen, in dem der Held an einer unerwarteten Stelle einen kleinen Faden entdeckt, immer heftiger daran zieht und eine Vielfalt unglaublicher Wunder enthüllt…alle vollkommen unerwartet. Meine Wunder, eines ums andere betrachtet, gehörten zu weit voneinander entfernten Wissensgebieten. Jedes von ihnen konnte mit großem Gewinn einzeln bearbeitet werden, wie ich das am Anfang meiner Laufbahn gemacht habe. Später entwickelte ich eine breitere Perspektive, wofür ich angemessen belohnt wurde. All diese verschiedenen Gebiete waren am einfachsten zu studieren, wenn man sie als »Erbsen in einer Schote« begriff oder wie Perlen jeder Größe aus einer sehr langen Halskette.
    Sehen diese Gebiete so aus, als wären sie weit voneinander entfernt? Spaltete ich meine Anstrengungen in selbstzerstörerischer Weise auf? Schon möglich. Doch mit strenger und bewusster Selbstkontrolle blieb meine Aufmerksamkeit auf jene Formen konzentriert, die gemeinhin keinen Namen hatten und doch dringend einen benötigten. Indem ich diese separaten Gebiete zusammenführte, gelangte ich Schritt für Schritt in die unerwartete, seltene und gefährlich exponierte Lage, dass ich ein neues Gebiet erschloss und damit das Recht erhielt, es zu benennen. Ich gab ihm den Namen fraktale Geometrie.
    Jede wichtige Facette der fraktalen Geometrie leidet an einem Dilemma, das Physiker zu Anfang des 20.Jahrhunderts als »Katastrophe« bezeichneten. Die Theorien jener Zeit sagten für die von bestimmten Objekten abgestrahlte Energie einen unendlich großen Wert voraus. In Wirklichkeit war das nicht der Fall – es musste also etwas preisgegeben werden! Es war die Quantenmechanik, die dieses Dilemma auflöste – eine der großen Revolutionen des 20.Jahrhunderts und Grundlage eines großen Teils der modernen Technologien einschließlich Computer, Laser und Satelliten.
    Was all meine »Erbsen« unter einen Hut brachte, war das entgegengesetzte Ende desselben

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