Schönesding!
Fernstudium. Das beeindruckt sie mächtig. Das ist nicht typisch Knacki. Ganz im Gegenteil. Das ist ein Rohdiamant vor dem Schliff.
Außerdem gibt es auch Seiten an Frau Sommer, mit denen ich arbeiten kann. Sie guckt nicht Rosamunde Pilcher. Sie macht sich sogar lustig darüber. Als Kalle in einer unserer Runden einmal kommentierte, das könne nicht gut gehen. Das wisse man ja von Heimkehr , sagte sie, wenn das so einfach wäre wie bei Rosamunde Pilcher, dann wären wir alle nicht hier. Keiner von den Knackis lachte. Die guckten alles. Sogar den Scheiß im ZDF. Sie nicht. Das macht sie sympathisch.
Es gibt nur ein einziges, winziges Problem: Die Bänder. Natürlich ist sie zu finden nicht die Aufgabe der Haftanstalt, und schon gar nicht die von Frau Sommer. Aber dass ich sie angeblich versteckt halte, kann man so auslegen, dass ich die Beute nicht zurückgeben will. Dass ich keine Reue zeige. Dass ich nur meine Zeit abbrumme, um dann die Früchte meines Verbrechens zu genießen.
Ich habe lange überlegt, wie ich erklären soll, dass die Polente die Bänder nie gefunden hat. Die Grünen waren schlampig? Im Eifer des Gefechts gingen sie verloren? Die Kameraleute haben sie selbst mitgehen lassen? Die Produzenten der Sendung haben sie vernichtet, bevor sie jemand sehen konnte? Keine Erklärung war wirklich gut. Vor allem, weil ich unter Verdacht stand und mir so fadenscheinige Ansagen sowieso niemand abgenommen hätte.
Am Ende entschied ich, das Beste wäre zu sagen, Felder hätte sie. Ja, Felder musste sie haben. Wer sonst? Hat die Polizei bei ihm geguckt? Das sollten sie mal. Ja, bei Felder sollten sie gucken. Das habe ich so oft wiederholt, dass ich es am Ende fast selbst geglaubt habe.
Weil es funktionierte, habe ich wohl auch ein bisschen übertrieben. Mit der Zeit wurden meine Ansagen, was Felder getan hat, immer detaillierter. Und wilder. Wenn es etwas gab, was ich nicht auf meine Kappe nehmen wollte: Das war Felder. Warum seid ihr da hingefahren? Nun ja, Felder hat gesagt... Warum habt ihr das denn gemacht? Haben Sie Felder schon gefragt?
Natürlich hat das auch Nachteile. Aber die muss man wohl in Kauf nehmen. Es hat nicht lange gedauert, bis Frau Sommer meine Strategie durchschaute. Dann konnte ich jedoch nicht mehr zurück. „War das auch Felder?“, wurde bei ihr schon fast zum geflügelten Wort, wenn jemand nicht zu seiner Tat stehen wollte. Das habe ich mir selbst eingebrockt. Das habe ich verdient. Aber dann kannten wir uns schon zu lang, und sie ließ mich in Ruhe.
Nur wenn ich allein bin in meiner Zelle, allein mit mir. Wenn ich niemandem etwas vorspielen muss, mich bei niemandem entschuldigen muss, nur dann plagte mich ein einziger Gedanke. Was ist, wenn nach der hundertfach bekundeten Reue, nach all den Identitäten, die du angezogen hast wie ein frisches Hemd, nach all den Rollen, die du gespielt hast, nach all den Blenden, die du aufgestellt hast, nach all der Mimikry: Was ist, wenn du einmal ausrastet wie Vitalij? Wenn du das auch kannst, was er konnte? Ohne dich danach daran zu erinnern. Was dann? Denn wenn ein netter Kerl wie er ohne irgendeine Vorgeschichte einfach so ausrasten und einen Anderen auslöschen kann, dann kann das jeder.
Vitalij spielte uns bestimmt nichts vor. Wenn er was Gutes zu essen hatte, teilte er es mit uns. Hätte man ihn unter anderen Umständen getroffen, hätte man bestimmt gesagt, der kann keiner Fliege was zu Leide tun. Wenn so ein Mann so etwas tun kann, dann wer nicht?
Vielleicht steckt das auch in mir drin, nur habe ich das bisher nicht gewusst. Was dann? Wehe, wehe! Was dann!
* 18 *
Dann kam das Essen mit Felder und meinen Kommilitonen. Eigentlich war alles im grünen Bereich. Dachte ich. Aber als Karl-Heinz schließlich sagte, „Das öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehen von hoher Qualität. Die Sendungen informativ, das Programm für jung und alt“, wusste ich, dieses Essen wird nicht nur schief gehen, es wird eine fürchterliche Katastrophe.
Ich guckte vorsichtig in Felders Richtung. Er hatte vorher schon ein paar Signale der Unlust von sich gegeben, aber nun zuckten seine Augenlider. Er kaute schwer und wischte wie von unsichtbarer Hand getrieben die Fingerabdrücke von seinem Besteck. Auch wenn es den anderen noch nicht aufgefallen war, innerlich brodelte dieser Mann. Soweit konnte ich seine Körpersprache schon lesen.
Fast erleichtert lehnte ich mich nun zurück. Wie wenn du vor einem Sturz irgendwann weißt, dass du vom Fahrrad
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