Schönesding!
jedoch eine Frohnatur. Er griente immer, egal wer etwas oder was derjenige sagte, oder besser gesagt, irgendwas grinste in ihm. Dazu hatte er einen hochroten Kopf, so dass ich bald dachte, er ist einfach dauerbekifft. Wer ist denn schon immer so gut gelaunt, bitteschön! Und das in einem Seminar.
Aber das war nur die eine Seite seiner Persönlichkeit. Später bei seinem Referat zum Thema Nietzsches Übermensch zeigte sich, dass der Existenzialist sehr wohl reden konnte. Nach etwas Vorgeplänkel gab er zur allgemeinen Bestürzung bekannt, dass er sich dem allgegenwärtigen Terror widersetze gemocht werden zu müssen.
Ach so!
Friedrich mit den hohen Haaren zog sich eigentlich sehr ähnlich an wie der Existenzialist. Aber er war natürlich von ganz anderem Holz geschnitzt. Er hatte noch nicht den Mund aufgemacht, da sah man schon, er kam aus einer ganz besonderen Familie. Er blickte auf eine lange Ahnenreihe bedeutender Künstler und Impresarios zurück, ja wahrscheinlich war er der edle Spross eines alten Fürstengeschlechts, mindestens aber einer weitverzweigten, zu unzählbarem Reichtum gekommenen Sippe von Bankbesitzern, die stets die Literatur gefördert hatten.
Wie der Existenzialist trug auch Friedrich Sakkos, die allerdings deutlich weniger von der schnöden Vergänglichkeit der Dinge gezeichnet waren. Außerdem drapierte er, egal wie warm oder kalt es war, einen Seidenschal mehrere Male um den Hals - wahrscheinlich, weil er seinen langen Hals betonte, den er stets würdevoll aufrecht hielt.
Sein Haar tat es ihm nach. Es stand hoch für die Kunst. Dafür brauchte er aber, ja, dafür gab es überhaupt kein Gel. Das konnte nur die natürliche Autorität eines hervorragenden Kopfes erreichen.
Zu unserem Seminar trafen wir uns einmal die Woche in einem Raum im zweiten Hinterhof einer alten, umgebauten Fabriketage in der Sophienstraße. Der Raum war mindestens zwanzig Meter lang und die Decke aus kleinen, aneinandergereihten Rundbögen in mehr als fünf Metern Höhe gab ihm etwas von einem alten, dunklen Studentenkeller. In der Mitte stand ein langgestrecktes Hufeisen von Melamin-Tischen, und die Filme warfen wir mit einem Projektor an die weiß getünchte Stirnwand.
In den ersten zwei Sitzungen schauten wir Stanley Kubricks Klassiker 2001: A Space Odyssey . Darum drehte sich das ganze Seminar. Allerdings schauten wir ihn nicht einfach nur an, wir schauten ihn an und kommentierten ihn gleichzeitig. Jeder, der sich danach fühlte, konnte mit den Fingern schnipsen. Dann stoppte Doreen den Film, und der sich fühlende fing an zu kommentieren.
Der hochhaarige Friedrich fühlte sich oft. Schon gleich nach den ersten drei Minuten des Films, der Bildschirm schwarz, die Musik aus Györgi Ligetis, Atmosphères , fühlte er sich. „Ähem, ja, na, das ist ja schon mal ganz außerordentlich“, hob er an. „Ich bitte zu beachten, dass Kubrick hier jede filmische Konvention unterläuft, ja, geradezu ad absurdum führt. Kino... das Licht des Objektives... der Projektion, weg, tot!...ersetzt durch das Schwarz, die Leere, den Tod, die Nacht des hohlen Seins.“
Der Existenzialist grinste.
„Aber es gibt ja noch einen anderen Aspekt.“ In der Mitte seiner Rede hatte Friedrich die Arme vor sich in die Luft geworfen. Nun drehte er sie zu verschiedenen, sich ergänzenden Variationen der Figur Hände-ineinander-verschränkt. „Mit dem schwarzen Schirm verweist Kubrick auf die Oper. Wir sind vor der Ouvertüre. Der Vorhang ist geschlossen. Die Spannung steigt. Das Publikum wartet. Premierenstimmung.“
Doreen hat wie die meisten hier den Film mehr als ein Dutzend Mal gesehen. Allerdings ist sie die Einzige, die das Buch gelesen hat, das Arthur C. Clarke, der Drehbuchautor, zusammen mit Kubrick zu dem Film veröffentlicht hat. Sie sagt, dass Friedrich schon recht habe, aber dass der Teil mit dem schwarzen Bildschirm bei Vorführungen so gut wie immer gestrichen wird.
Das stoppt Friedrich nicht. „Aber: Die Provokation, der Aufruhr, das ist eine Art Kriegserklärung an die Zuschauer.“
Weiter im Film. Als nächster fühlt sich eine der Nebenchargen. Am Anfang des Films tapern ein paar Schauspieler in Affenkostümen durch eine schön wild im Studio nachgebaute Urzeit-Landschaft. Ein langer, schwarzer Grabstein, im Buch der Monolith, landet in dieser Plastikwelt. Die Schauspieler in Affenkostümen sind ganz baff. Sie sammeln sich um ihn und berühren ihn ehrfürchtig.
Die Nebendarstellerin sagt, sie habe im Netz gelesen,
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