Schönesding!
Alkohol, der ganze Scheiß. Kennt man ja. Weiß man ja. Eigentlich konnten wir nichts dazu, weil wir uns nicht gesund entwickelt haben.
Und das müssen wir nun im Knast nachholen. Nun müssen wir normal werden und versuchen das nachzuweisen. Wir müssen lernen uns zu betragen. Dass wir mit allen auskommen können, mit den Kapos als auch mit unseren Mithäftlingen. Ohne gleich zuzuschlagen. Deshalb müssen wir lernen feste soziale Bindungen aufzubauen, am besten in einer Beziehung, oder besser noch in einer Familie. Wir müssen lernen zu arbeiten oder zur Schule zu gehen. Und wir müssen lernen, wie man wohnt und zeigen, dass wir unsere Zelle sauber halten können. Mit einem Wort: Wir müssen Heimspieler werden oder, besser gesagt, Kandidaten zum Heimspieler.
Von unserer Mitarbeit bei diesem Vorhaben hängt alles ab. Denn Frau Sommer schreibt unsere Vollzugsplanfortschreibungen. Hört sich läppisch an, ist es aber nicht. Ohne Familie hast du keine Besuche. Ohne Beziehung keinen Langzeitsprecher, das heißt keinen Sex. Ohne Betragen keinen Freigang. Und ohne das alles keinen Urlaub. Das ist der große Hebel, der alles in Bewegung setzt, verstehen Sie?
Dazu gehören auch die Gesprächsrunden alle zwei Wochen. Unsere ganze Gruppe in unserem Gemeinschaftsraum. Wir im Kreis: Die Knackis. So nennen uns alle. Sogar wir selbst. Wir Knackis haben Mist gebaut. Darauf können sich alle einigen. Wir Knackis haben Mist gebaut. Wie oft ich das gehört habe!
Wie unser lächerlicher Name, so sind auch wir. Die wenigsten wollen wieder zurück in ihr altes Leben, zu ihrem alten Handwerk. Keiner kommt darauf einfach zu sagen: Ihr könnt mich mal! Wenn ich wieder rauskomme, mach ich weiter.
Wir haben uns geändert und sind dabei selbstmitleidig geworden und weich wie nasser Keks. Wir Knackis erledigen unsere angestammte Aufgabe nicht mehr: Angst und Schrecken in die Bürger zu jagen. Nur: Das ist die Ironie an der ganzen Sache. Die haben es gar nicht bemerkt. Dumm gelaufen eigentlich.
Und ich? Was mache ich?
Ich mache mit. Was soll ich machen. Das ist die einzig mögliche Strategie. Ich brauche die Psychologen. Ich brauche meine Gruppenleiterin. Ich brauche Frau Sommer. Auch wenn das nicht einfach ist.
Allerdings muss man auch sagen, dass ich es schlimmer hätte treffen können. Frau Sommer ist ein Kind der Sechziger. Mit glatten, langen Haaren, einer randlosen Brille und selbstgedrehten Zigaretten. Sie fährt einen VW Passat Kombi. Auf der Stoßstange ist ein Aufkleber: Ein Herz für Knackis . Das sagt alles. Sie glaubt an das Gute im Menschen. Bei uns ist es aus den altbekannten Gründen einfach noch nicht an die Oberfläche gekommen. Deshalb muss man Geduld mit uns haben. Wir verdienen einen Vorschuss auf ihre Unterstützung.
Ich weiß, was Frau Sommer von mir will. Das ist nicht schwer zu verstehen. Und das gebe ich ihr. Natürlich lüge ich Frau Sommer andauernd an. Aber ich lüge nur bei Dingen, die sie nicht überprüfen kann. Wie es in mir drinnen aussieht, kann sie nicht sehen.
Natürlich weiß auch sie, was gespielt wird. Da wir von ihr und ihrem Urteil abhängen, machen wir ihr alle natürlich was vor. Dafür hasst sie uns, und wir hassen sie. Aber das ist ja überall so, wo Leute Autorität über andere haben. Das ist normal.
Allerdings lasse ich mir das nicht anmerken. Auch den anderen in meiner Gruppe gegenüber. Sie lassen sich über Frau Sommer aus, wenn sie nicht da ist, und wundern sich, dass ich das nicht tue. Nur: Ich weiß einfach, nur eine kleine, hingeworfene Bemerkung von einem meiner lieben Mit-Knackis, und die Saat des Verdachts ist gesät. Dann wird es hart und die ganze Mimikry ist dahin.
Ich spiele meine Rolle gut, fast mit Vergnügen. Auf jeden Fall ohne jegliche Gewissensbisse. Wir spielen doch alle Rollen in unserem Leben. Andauernd. Vor unseren Frauen und Kindern den treusorgenden Ehemann und Vater. Vor unseren Chefs den strebsamen Arbeiter. Vor unseren Freunden den verlässlichen Kumpel, und vor uns selbst den Kara Ben Nemsi Effendi, der fremde Länder erobert und die Aufsässigen züchtigt.
Ja, wahrscheinlich kommen wir um so schneller voran, je geschickter wir diese Rollen füllen und je nahtloser wir zwischen ihnen wechseln. Es ist einfach nötig. Sich dagegen zu stemmen ist sinnlos. Das ist mir völlig klar. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Das muss niemanden kratzen.
Und ich habe noch einen anderen Meter voraus bei Frau Sommer. Ich lese. Und schreibe. Und mache mein
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