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Schönesding!

Schönesding!

Titel: Schönesding! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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Diesmal hielt ich Felder wirklich die Schüssel mit den Spaghetti hin. Er aß einfach zu wenig. Ich hätte sie ihm sogar auf den Teller getan, aber er winkte nur ungeduldig ab.
    „ Es gibt ja nicht nur die Tiersendungen im Heimspieler-Fernsehen. Es gibt ja auch die Heimatfilme, die falsche Exotik und die Schmalz-Schmonzetten. Nicht zu vergessen die Pfarrer- und Arzt-Serien. Da ist der ganze Scheißdreck dann gleichzeitig drin. Und da hab ich noch nicht mal die große Schmerzmaschine-hallo-ich-bin-die-Regression-W etten, dass..? erwähnt.“
    „ Guck dir doch das Privatfernsehen an.“ Das war Friedrich. „Das ist doch viel schlimmer.“
    „ Vieles ist schlimm. Da geb ich dir recht.“ Auf das Argument schien Felder vorbereitet. Er zögerte nicht. „Aber durch das Privatfernsehen bricht wenigstens in Ansätzen die moderne Welt hier ein. Im öffentlich-rechtlichen passiert das so gut wie nie.“
    „ Die moderne Welt? Wie das denn? Von was redest du!“ Friedrich war jetzt wirklich gespannt.
    „ Na, Hollywood-Filme, US-Serien. So was meine ich. Denn ihr dürft nie vergessen: Bis zum Ende des 1. Weltkrieges hatte Deutschland eine ausgeprägte Kriegerkultur. Und in den Dreißigern kam eine noch viel Schlimmere dazu. Das dürft ihr nie vergessen. Niemals.“
    Der Prediger Johann Friedrich Felder von der Kirche des anti-faschistischen Heilsgebrabbels! Das dürft ihr nie vergessen, jammel, jammel. Hört's euch an!
    Aber Johann Friedrich war noch nicht fertig. „Von den Themen, der Erzähltechnik und der handwerklichen Umsetzung ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen hier nie über den Stand der fünfziger Jahre hinausgekommen. Wenn es überhaupt so weit gekommen ist.“
    Stille.
    Karl-Heinz blies durch die Zähne. Dann sagte er: „Das völliger Unsinn.“
    „ Jetzt gehst du aber zu weit.“ Auch Helmuts Schwester hatte jetzt genug.
    Aber Felder war nun nicht mehr zu stoppen. „Wie gesagt, beten würde ich.“ Er ließ seinen Blick in der Runde wandern, als komme jetzt der Todesstoß. „Und ich weiß auch, woran es liegt. Erzwungen durch die militärische Niederlage im 2. Weltkrieg, wurden die politischen und zu einem geringeren Ausmaß die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen andere, aber in ihrem kulturellen Geschmack sind sich die Volksgenossen einfach treu geblieben.“
    „Na, dann haben wir das auch besprochen.“ Ich war der erste, der etwas sagte. Das war nicht gut, aber ich war einfach ein bisschen erleichtert, dass es nun endlich vorbei war.
    Der Existenzialist griente.
     

* 19 *
     
    Am Tag nach Helmuts Essen hing der Himmel draußen so niedrig, dass du selbst drinnen vorsichtshalber gebückt gingst. Es regnete Schnüre, und vor der Sonne hing ein schmutzig grauer Vorhang. Dahinter und darüber war bestimmt alles gold. Dort oben, über dem Vorhang, schien sie. Nur wem nützte das? Wir waren ja nicht dort.
    Es war einer von diesen Berliner Tagen. An denen es überhaupt nicht hell wird. An denen man gar nicht sicher ist, dass die Sonne überhaupt aufgegangen ist. Oder unter. Machte sowieso keinen Unterschied.
    Das war schwer zu schlucken. Weil: Es gab nur eine wirkliche Gewissheit. Für mindestens ein halbes Jahr würden wir jetzt nichts Kurzärmliges mehr tragen. Das war sicher.
    Wo war das Land, wo ewig Sommer ist? Und warum waren wir nicht dort? Wer war eigentlich noch hier? Doch nur die, die hier sein mussten. Hier war keiner freiwillig, oder?
    War unser Sommer zu gut? Zu lang? Zu warm? Zu ausgiebig? Hatten wir ihn genutzt? Benutzt? Vielleicht sogar ausgenutzt? War es das? Keiner wusste es, und manchmal ist der Gedanke, dass jeder, der eine Strafe bekommt, auch etwas angestellt haben muss, einfach albern, verkehrt, falsch. Ahhh!
    Warum trugen wir dann die Schultern eingeknickt, den Schwerpunkt nach vorn, die Fühler auf Angriff? Warum? Was war das bitte, wenn keine Strafe?, fragte ich.
    Ich hatte Beton im Herzen.
    Auch mit den ruhigen Nächten war es jetzt vorbei. Tagsüber waren die Krähen wie vom Erdboden verschluckt. Aber sobald die Dämmerung fiel, sammelte sich ein riesiger Schwarm auf einem der Häuser in der Nachbarschaft. Manchmal sah ich sie auf dem Haus der Berliner Zeitung , direkt am Alex, manchmal auf einem Kran an der Spandauer Brücke. Dann wieder waren sie tagelang nirgends zu sehen. Wo waren sie hin geflogen? Aufs Land? Für ein paar Tage? Wo das Wetter besser war?
    Nachts jedoch hörte ich sie, wie sie sich um den Müll stritten. Sie ließen sich auf irgendwelchen Mülltonnen in

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