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Schönesding!

Schönesding!

Titel: Schönesding! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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Gewissen haben müsste, dass er €49,90 für das Ding ausgegeben hat.
    Aber es war ein schöner Tag. Die Wolkenberge der Hölle waren woanders hin gewandert. Es war kalt, aber die Sonne schien für uns. Das war wichtig. Vielleicht deshalb drängten sich die Passanten auf der Neuen Schönhauser schon am Morgen wie saurer Hering im Glas.
    Felder tanzte um sie herum wie ein umgekehrt gepolter Magnet und sagte jedes Mal, ,Schulligung, Schulligung.' Das sah so komisch aus. Er tat das natürlich, um den entgegenkommenden Leuten auszuweichen. Nötig wäre es nicht gewesen. Hubsi und ich glitten einfach durch. Wir streiften ein paar Jackenärmel und Mantelsäume. Klar. Das war gar nicht zu vermeiden. Aber niemand hatte damit ein Problem.
    Felder dagegen rannte Slalom. Denn Felder sagte auch ,tut mir leid', wenn jemand anderes sich den Fuß stieß oder demjenigen etwas runterfiel. Obwohl Felder natürlich überhaupt nichts dafür konnte, ja, nicht das Geringste damit zu tun hatte.
    Aber so machten es viele Afrikaner, erklärte er mir einmal. „Das kommt von dem allgegenwärtigen Glauben an Hexerei. Fällt jemand anderes was runter, könnte der denken, du hättest ihn verhexen lassen. Deshalb ist es besser gleich ,Entschuldigung' zu sagen, bevor du verdächtigt wirst.“
    Natürlich waren wir nicht in Afrika, und natürlich glaubte hier niemand an Hexerei, aber nach Felders Logik musste man ja alles annehmen, was zivilisierter ist, egal wo es herkam, auch wenn das bedeutete, dass man sich entschuldigte, wenn man überhaupt nichts getan hatte.
    Völlig außer Atem rief uns Felder zu: „Es gibt zwei Arten von Leuten.“
    Hubsi hatte wohl auch gerade genug von Felders altklugen Reden. Wir drehten uns nur kurz um und zogen dann weiter. Hinter uns hörten wir nur: „Die einen rennen in die Leute rein, und die anderen weichen aus.“ Ich musste ein bisschen lachen.
    Als wir an der Ecke Rosenthaler auf Felder warteten, sahen wir auf einmal eine komische Gestalt. Wie er sich da, einen Kopf größer als die anderen, den Weg durch die Menge bahnte, sah er aus wie der Priester einer fremden Religion. Er trug einen schwarzen Nadelstreifenanzug und ein schwarzes Hemd mit der dazu passenden Weste, die etwas in der Bauchgegend spannte. Seine dunklen Haare ließ er vorne an der Seite lang wachsen, fast wie ein orthodoxer Jude. Und auf den Rücken geschnallt trug er ein Ränzchen, von Größe und Form einer Schuhschachtel.
    Als Felder uns einholte, war der fremde Priester gerade auf unserer Höhe. Er blieb kurz stehen. Felder blieb kurz stehen. Ihr Blick traf sich. Beide schmunzelten. Dann war der Priester wieder weg.
    „ Das war Blixa Bargeld“, sagte Felder.
    „ Echt? Das war Blixa Bargeld?“
    „ Bist du sicher?“
    Felder nickte.
    „Schönesding!“
    „ Komm, lass uns hinterher gehen.“
    Wenn das Blixa Bargeld war, wollte ich ihn noch einmal sehen. In den Achtzigern war er eine Berliner Ikone. So viel wusste ich. Die Musik der Einstürzenden Neubauten kannte ich nicht, aber ich hatte schon etwas über sie gelesen. Das war alles ganz schön lang her. Später habe ich gelesen, Blixa Bargeld lebt jetzt in Amerika. Nicht ganz in Lala-Land, aber fast: in San Francisco.
    Wir hängten uns an ihn ran, blieben aber ein paar Schritte hinter ihm. Er schaute sich genau um, interessiert aber skeptisch, als entdecke er eine fremde Stadt, oder mehr noch, als nehme er Maß und frage sich, Wie wär das hier so? Ob sie ihm gefiel? Könnte sie die Seine werden?
    Aber viel erstaunlicher war, dass ihn trotz seines kursiven Aussehens niemand zu bemerken schien. Wohlgemerkt: Nicht dass ihn jemand erkannt hätte und ihn absichtlich ignorierte. Weil: Bekannte Leute starrt man ja nicht an. Das wäre ja peinlich. Nein, da war kein Blinzeln, kein Drehen zur Freundin, als er vorbei war, hast du gesehen, wer das war! Nicht mal ein Flickern in den Augen. Da war keine Reaktion. Noch nicht einmal die für einen Fremdkörper, einen Dinosaurier in der Fußgängerzone. Er war wirklich überhaupt nicht da.
     

* 22 *
     
    Im Zug nach Hamburg passierte etwas Witziges. Wir saßen im Speisewagen und Hubsi und Felder hatten Hunger. Sie studierten die Speisekarte und bestellten zu einem Glas Wein einen Schweine-Nacken mit Klößen, den sie beide ziemlich schnell reinwolften. Schmeckte irgendwie nach gar nichts, aber trotzdem nicht schlecht.
    Sie aßen von einem Teller, aber Felder machte wieder mal seine Nasenklammer rein, weil: Fünfundneunzig Prozent des Geschmacks

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