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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Glück ist gut, aber Sünde ist es, im Glück die Unglücklichen zu vergessen. Man muß ihnen helfen, auf ihre Schwären schauen und daran denken, daß das Glück eine Gabe Gottes ist, die nur selten jemandem auf Erden zuteil wird. Wissen Sie, warum vor Schlössern und Palästen sich so viele Bettler und Krüppel drängen?«
    »Natürlich. Dort bekommen sie m-mehr.«
    »Nein, die Armen geben großzügiger als die Reichen. Esist, weil Gott den Glücklichen die Unglücklichen zeigen will: Denkt daran, daß es auf der Welt viel Leid gibt, verschließt euch nicht dem Leid.«
    Fandorin seufzte und blieb die Antwort schuldig. Offenbar fiel ihm nichts mehr ein. Er drehte sich zu Anissi um und ließ die Jadeperlen klackern.
    »F-Fahren wir fort. Also, ich gehe davon aus, daß das letzte Verbrechen des Rippers in England der Mord an Mary Jane Kelly war, begangen am 9. November; mit dem Fall vom 20. Dezember hat er nichts zu tun. Der 9. November, das ist nach russischem Kalender Ende Oktober, so daß der Ripper genügend Zeit hatte, um nach Moskau zu gelangen und ein O-Opfer für seine entartete Phantasie zu finden; dieses Opfer ist im Novembergraben des Boshedomka-Friedhofs gelandet. Einverstanden?«
    Anissi nickte.
    »Ist die W-Wahrscheinlichkeit groß, daß es in Europa zur selben Zeit zwei Triebtäter gibt, die nach haargenau demselben Szenario vorgehen?«
    Anissi schüttelte den Kopf.
    »Dann die letzte Frage. Ist die eben von mir erwähnte Möglichkeit so gering, daß wir uns ganz auf meine Hauptversion konzentrieren können?«
    Ein zweimaliges Nicken, so energisch, daß die berühmten Tulpowschen Ohren wackelten.
    Anissi hielt den Atem an, denn er wußte, daß jetzt vor seinen Augen ein Wunder geschehen würde: Aus dem Nichts, aus Nebel und Finsternis würde eine Theorie auftauchen – mit einem Plan der Ermittlung, vielleicht auch mit konkreten Verdächtigen.
    »Fassen wir zusammen. Jack the Ripper ist aus uns bislangunbekannten Gründen nach Moskau übergesiedelt und hat sich sogleich an die Ausrottung der hiesigen Prostituierten und Bettlerinnen gemacht. Erstens.« Der Eindringlichkeit halber klackerte er mit den Perlen. »Er ist im November vergangenen J-Jahres hier angekommen. Zweitens.« (Klack-klack!) »Die letzten Monate hat er sich in der Stadt aufgehalten, und wenn er verreiste, dann nur für kurze Zeit. Drittens.« (Klack-klack!) »Er ist Mediziner oder hat Medizin studiert, denn er besitzt medizinisches Gerät, kann damit u-umgehen und verfügt über Kenntnisse der Anatomie. Viertens.«
    Ein letztes Klackern, und der Chef ließ die Kette in der Tasche des Hausrocks verschwinden, was bedeutete, daß er von der Theorie zur Praxis überging.
    »Wie Sie sehen, Tulpow, scheint die Aufgabe nicht allzu schwer zu sein.«
    Anissi sah das bislang nicht und enthielt sich darum eines Nickens.
    »Na aber«, wunderte sich Fandorin. »Wir müssen doch nur die Personen überprüfen, die in dem fraglichen Zeitraum von England nach Rußland gekommen sind und sich in Moskau niedergelassen haben. Zudem nicht alle, nur diejenigen, die irgendwie mit Medizin zu tun haben oder hatten. Das ist a-alles. Sie werden staunen, wie klein der Kreis der Verdächtigen ist.«
    Wirklich, wie einfach! Moskau ist nicht Petersburg, wieviel Mediziner können schon im November aus England in die alte Residenzstadt gekommen sein?
    »Dann lassen Sie uns rasch in allen Polizeirevieren überprüfen, was für Personen eingereist sind!« Anissi war aufgesprungen, bereit, sich sofort in die Arbeit zu stürzen. »Wirhaben vierundzwanzig Reviere! In den Registrierbüchern finden wir unseren Freund!«
    Angelina hatte zwar den Anfang von Fandorins Überlegungen versäumt, dann aber aufmerksam zugehört und stellte jetzt die vernünftige Frage: »Und wenn euer Unhold sich nicht bei der Polizei angemeldet hat?«
    »Wenig wahrscheinlich«, antwortete der Chef. »Das ist ein ordentlicher Mensch, der lange an einem Ort gelebt hat, der f-frei durch Europa reist. Warum sollte er ein unnötiges Risiko eingehen, indem er gegen das Gesetz verstößt? Er ist doch kein politischer Terrorist, kein flüchtiger Sträfling, sondern ein Triebtäter. Die gesamte Aggressivität der Triebtäter bündelt sich in ihrer krankhaften ›Idee‹, für weitere Tätigkeiten bleibt keine Kraft. Gewöhnlich sind das stille, unauffällige Leute, bei denen man nie auf den Gedanken käme, daß in ihrem K-Kopf die Hölle ist … Setzen Sie sich doch, Tulpow. Wir brauchen nirgendwohin zu

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