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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Er holte tief Luft, und es wurde besser.
    Das »leere Gerede« durfte er Ishizyn nicht durchgehen lassen, und er sagte mit hölzerner Stimme: »Mein Chef meint, Entschlossenheit und Energie sind gut beim Holzhacken und beim Umgraben.«
    »Genau so.« Ishizyn bedeutete den Gendarmen, die Leiche wegzubringen. »Ich werde, verdammt noch mal, ganz Moskau umgraben, und sollten mir Fehler unterlaufen, wird das Resultat mich rechtfertigen. Wenn ich keine Resultate vorweise, bin ich sowieso geliefert. Sind Sie mir zur Überwachung beigegeben, Tulpow? Überwachen Sie, aber ersparen Sie mir Ihre Bemerkungen. Wenn Sie eine Beschwerde schreiben wollen – bitte sehr. Ich kenne Graf Tolstow, er weiß Entschlossenheit zu schätzen und drückt bei Eigenmächtigkeiten schon mal ein Auge zu, wenn es um die Sache geht.«
    »Ich habe derartiges von Polizisten zu hören bekommen, aber aus dem Munde eines Angestellten der Staatsanwaltschaft klingen solche Ansichten merkwürdig«, entgegnete Anissi, überzeugt, daß Fandorin an seiner Stelle genauso geantwortet hätte.
    Jedoch der Untersuchungsführer reagierte auf die würdevolle, zurückhaltende Replik nur mit einer wegwerfenden Handbewegung. Da schlug Anissi einen offiziellen Ton an: »Bitte kommen Sie zur Sache, Herr Hofrat. Worin besteht Ihr Plan?«
    Sie gingen ins Arbeitszimmer des Arztes und setzten sich an den Tisch; zum Glück war Sacharow im Seziersaal mit einer Leiche beschäftigt.
    »Also, wenn Sie erlauben.« Ishizyn warf dem rangniederenTulpow einen überlegenen Blick zu. »Strengen wir unsern Grips an. Wen tötet unser Bauchaufschlitzer? Prostituierte, Obdachlose, Bettlerinnen, also Frauen vom Bodensatz der Stadt, Abfall der Gesellschaft. Erinnern wir uns nun, wo diese Morde geschahen. Wo die namenlosen Frauen herkamen, die in den Gräben verscharrt wurden, läßt sich nicht mehr feststellen. Bekanntlich macht sich unsere Moskauer Polizei in solchen Fällen nicht die Mühe überflüssiger Schreiberei. Aber wo die anderen Leichen gefunden wurden, ist bestens bekannt.«
    Ishizyn schlug ein kariertes Heft auf.
    »Aha, hier! Die Bettlerin Marja Kossaja wurde am 11. Februar in der Kleinen Trjochswjatski-Gasse getötet, in dem Asyl Sytschugins. Die Kehle durchgeschnitten, der Bauch aufgetrennt, die Leber entfernt. Die Prostituierte Alexandra Sotowa wurde am 5. Februar in der Swinjin-Gasse gefunden, auf dem Pflaster. Wieder Kehle plus herausgeschnittene Gebärmutter. Diese beiden sind unsere Klientinnen.«
    Er trat zu dem an der Wand hängenden Stadtplan der Polizei und tippte mit seinem langen spitzen Zeigefinger darauf.
    »Sehen wir uns das mal an. Die Andrejitschkina vom Dienstag wurde hier gefunden, in der Selesnjowskaja. Das Mädchen von heute am Bahnübergang Nowo-Tichwinsk, hier. Von dem einen Tatort zum anderen ist es nicht mehr als ein reichlicher Kilometer. Genauso weit ist es zum Tatarenviertel.«
    »Was hat das Tatarenviertel damit zu tun?« fragte Tulpow.
    »Später, später.« Ishizyn winkte ab. »Unterbrechen Sie mich jetzt nicht … Nun zu den beiden alten Leichen. Die Kleine Trjochswjatski- Gasse ist hier. Und hier die Swinjin-Gasse.Gleich daneben. Dreihundert bis fünfhundert Schritte bis zur Synagoge in der Spassoglinistschewski-Gasse.«
    »Noch näher ist es nach Chitrowka«, warf Anissi ein. »Dort wird jeden Tag jemand umgebracht. Es ist sozusagen die Brutstätte des Verbrechens.«
    »Umgebracht ja, aber doch nicht so! Nein, Tulpow, das riecht nach etwas anderem als dem gewöhnlichen Verbrechen eines Christenmenschen. In diesen Ausweidungen ist ein fanatischer, nichtrussischer Geist zu spüren. Die Rechtgläubigen begehen viele Schweinereien, aber doch nicht so was. Und was soll der Unsinn von dem Londoner Jack, angeblich ein Russe, der jetzt zurückgekehrt ist, um sich in den heimatlichen Gefilden auszutoben. Humbug! Ein Russe, der nach London reist, gehört einer kultivierten Schicht an. Und wird ein kultivierter Mensch in den stinkenden Därmen einer Marja Kossaja wühlen? Können Sie sich so etwas vorstellen?«
    Anissi konnte sich so etwas nicht vorstellen und schüttelte ehrlich den Kopf.
    »Na sehen Sie. Das liegt doch auf der Hand. Man muß ein Phantast und Theoretiker wie Ihr Vorgesetzter sein, um den gesunden Menschenverstand durch abstrakte Gedankenkonstrukte zu ersetzen. Ich hingegen, Tulpow, bin Praktiker.«
    »Aber die Kenntnisse der Anatomie?« verteidigte Anissi seinen Chef. »Und die professionelle Handhabung des chirurgischen Instruments? Nur

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