Schönheit der toten Mädchen
Die Fahrt dauerte fünfMinuten, es war anzunehmen, daß die Pferde des Kollegienrats weitaus schneller als die Polizeiklepper waren.
Kaum hatte Ljalin das gedacht, als prächtige Traber mit weißen Federbüschen zum gußeisernen Tor des Friedhofs heransprengten. Der Kutscher war wie ein General mit goldenen Posamenten übersät, der schwarze Lack der Karosse glänzte feucht, und auf dem Wagenschlag leuchtete das Wappen des Fürsten Dolgorukoi.
Herr Fandorin sprang auf die Erde, die weiche Federung wippte, und die Kutsche fuhr zur Seite. Offensichtlich würde sie warten, bis der Kollegienrat seine Arbeit beendet hatte.
Sein Gesicht war blaß, die Augen funkelten noch heller als sonst, doch andere Anzeichen der erlittenen Erschütterungen und der schlaflosen Nächte konnte Ljalin nicht wahrnehmen. Er fand sogar, daß Fandorin sich unvergleichlich forscher und energischer als sonst bewegte. Ljalin wollte mit einer Verbeugung kondolieren, aber nach einem genaueren Blick auf die fest zusammengepreßten Lippen Fandorins überlegte er es sich anders. Seine reiche Lebenserfahrung sagte ihm, daß es besser war, gleich zur Sache zu kommen.
»Entsprechend den Instruktionen haben wir Sacharows Wohnung noch nicht betreten. Wir haben die Friedhofsarbeiter befragt, aber keiner von ihnen hat Sacharow seit gestern abend gesehen. Sie warten dort.«
Fandorin warf einen flüchtigen Blick zum Leichenschauhaus, vor dem einige Leute standen und von einem Bein aufs andere traten.
»Ich habe doch wohl klar und deutlich gesagt: nichts unternehmen. Na schön, gehen wir.«
Schlechte Laune, dachte Ljalin. Was ja auch nicht verwunderlichwar bei den traurigen Ereignissen. Seine Karriere stand auf der Kippe, und dann die Sache mit Tulpow.
Der Kollegienrat stieg leichtfüßig die Treppe zu Sacharows Wohnung hinauf und rüttelte an der Tür. Sie gab nicht nach, war verschlossen.
Ljalin schüttelte den Kopf – ein umsichtiger Mensch war Doktor Sacharow. Selbst bei seiner überstürzten Flucht hatte er nicht vergessen, die Tür abzuschließen. So einer hinterließ keine dummen Spuren und Anhaltspunkte.
Ohne sich umzudrehen, schnippte Fandorin mit den Fingern, und Ljalin verstand. Er zog aus der Tasche einen Satz Nachschlüssel, drehte den passenden Dietrich ein paarmal im Schlüsselloch, und die Tür ging auf.
Fandorin schritt rasch durch die Zimmer, warf im Gehen knappe Anweisungen hin, wobei sein leichtes Stottern verschwunden war, als wäre es nie gewesen. »Die Kleidung im Schrank überprüfen. Alles aufschreiben. Feststellen, was fehlt … Alle medizinischen Instrumente, besonders die chirurgischen, hier auf den Tisch … Im Korridor war ein Läufer – da wo der rechteckige Fleck auf dem Fußboden ist. Wo ist der Läufer hingekommen? Danach suchen! Ist das sein Arbeitszimmer? Alle Papiere einsammeln. Ganz besonders auf Schnipsel und Fetzen achten.«
Ljalin sah sich um und entdeckte keinerlei Papierfetzen. Das Zimmer war tipptopp aufgeräumt. Der Agent staunte erneut über die starken Nerven des flüchtigen Doktors. Der hatte das Zimmer saubergemacht, als wollte er Gäste empfangen. Wo sollten da Schnipsel liegen?
Aber da bückte sich Fandorin und hob unterm Stuhl ein zerknülltes Stückchen Papier auf. Er glättete und las es und gab es Ljalin.
»Hinzufügen.«
Auf dem Fetzen waren nur zwei Wörter:
länger schweigen.
»Beginnen Sie mit der Durchsuchung«, sagte Fandorin und ging hinaus.
Fünf Minuten später, nachdem Ljalin seinen Leuten die Aufgaben zugewiesen hatte, blickte er aus dem Fenster und sah den Kollegienrat mit Mussja durchs Gebüsch kriechen. Dort waren Äste abgebrochen, die Erde zertrampelt. Vermutlich hatte an der Stelle Tulpow mit dem Verbrecher gekämpft. Ljalin stieß einen Seufzer aus, bekreuzigte sich und ging daran, die Wände im Schlafzimmer abzuklopfen.
Die Durchsuchung brachte wenig Interessantes.
Einen Stoß Briefe in englischer Sprache – offensichtlich von Sacharows Verwandten – sah Fandorin rasch durch, ohne sie jedoch zu lesen, ihn interessierte nur das Datum. Er schrieb etwas in sein Notizbuch, sagte aber nichts.
Der Agent Syssujew tat sich hervor, er fand im Kabinett unter dem Diwan einen Papierfetzen, der größer war als der erste, aber noch unverständlicher:
legungen der Korporationsehre und Mitgefühl mit einem alten Kam
Dieser Schnipsel interessierte Fandorin sehr. Ebenso ein Colt-Revolver, der in einem Schreibtischfach lag. Er war erst vor kurzem geladen worden – an Trommel und
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