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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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wieder hin. Da zog ich die ›Bulldogge‹ und schoß dreimal in die Luft – ich dachte, vielleicht kommt mir jemand von den Friedhofsleuten zu Hilfe. Aber die haben wahrscheinlich bloß einen Schreck gekriegt. Pfeifen hätte ich müssen. Darauf bin ich nicht gekommen, ich war nicht ganz bei mir. An das Weitere kann ich mich nur schlecht erinnern. Ich kroch auf allen vieren und fiel hin. Dann legte ich mich am Zaun auf die Erde, um zu verschnaufen, da bin ich wohl eingeschlafen. Als ich wieder zu mir kam, war es kalt. Sehr kalt. Dabei hatte ich einen warmen Mantel an und extra noch eine Strickjacke darunter. Ich holte die Uhr hervor. Schon nach Mitternacht. Aus, dachte ich, der Verbrecher ist entkommen. Da erst fiel mir die Pfeife ein. Ich begann zu pfeifen. Bald kamen welche, ich sah nicht, wer. Sie brachten mich weg. Ich war wie in einem Nebel, bis mir der Doktor eine Spritze gab. Jetzt ist es besser. Ich schäme mich nur, daß ich den Ripper entkommen ließ. Hätte ich nur besser auf Herrn Masa gehört. Erast Petrowitsch, ich wollte es möglichst gut machen. Hätte ich auf Masa gehört. Hätte …
    Nachschrift
    Hier bricht die stenographische Niederschrift des Berichts ab, denn der Verletzte, der anfangs sehr lebhaft und fehlerfrei gesprochen hatte, begann zu phantasieren und fiel bald in Bewußtlosigkeit, aus der er nicht wieder erwachte. Dr. K. I. Möbius wunderte sich sowieso, daß Herr Tulpow mit derartigen Verletzungen und einem solchen Blutverlust so lange durchgehalten hatte. Der Tod trat gegen sechs Uhr morgens ein, was Dr. Möbius in einer entsprechenden Notiz festgehalten hat.
     
    Oberstleutnant des Gendarmeriekorps Swertschinski
    Die stenographische Niederschrift und Dechiffrierung besorgte der Kollegienregistrator Arietti
     
    Eine entsetzliche Nacht.
    Der Abend hatte so gut begonnen. Die Idiotin wurde im Tod wunderschön – einfach eine Augenweide. Nach diesem Meisterstück der Dekorationskunst war es sinnlos, Zeit und Inspiration an das Dienstmädchen zu verschwenden, und ich ließ sie, wie sie war. Eine Sünde, aber ein so frappierender Kontrast zwischen äußerer Häßlichkeit und innerer Schönheit wäre ohnehin nicht noch einmal zustande gekommen.
    Das Bewußtsein, eine gute Tat getan zu haben, wärmte mir die Seele: Ich habe dem guten Jüngling nicht nur das wahre Antlitz der Schönheit gezeigt, ich habe ihn auch von einer schweren Last befreit, die ihn hinderte, ein eigenes Leben zu führen.
    Und dann endete alles so unglücklich.
    Den guten Jüngling hat sein unschönes Gewerbe zugrunde
gerichtet – auszuschnüffeln, nachzuspüren. Er ist von selbst gekommen, um seinen Tod zu empfangen. Ich habe daran keine Schuld.
    Der Junge dauerte mich, darum war ich unpräzise. Meine Hand zitterte. Die Verletzungen sind tödlich, daran gibt es keinen Zweifel: Ich habe gehört, wie die Luft aus der durchstoßenen Lunge entwich, und der zweite Stich muß die linke Niere und den absteigenden Grimmdarm zerschnitten haben. Aber er hat wahrscheinlich vor dem Tod sehr gelitten. Dieser Gedanke läßt mir keine Ruhe.
    Peinlich. Unschön.

Ein mühevoller Tag
    8. April, Ostersamstag
    Vor dem Tor des armseligen Boshedomka-Friedhofs wartete bei Wind und widerlichem Nieselregen die Untersuchungsgruppe: der erfahrene Polizeiagent Ljalin, drei jüngere Agenten, der Photograph mit einer tragbaren amerikanischen »Kodak«, sein Gehilfe und der Hundeführer der Polizei mit der in ganz Moskau berühmten Mussja an der Leine. Die Gruppe war telephonisch zum Ort des nächtlichen Ereignisses beordert worden und hatte strengste Anweisung, vor dem Eintreffen des Herrn Kollegienrats nichts zu unternehmen. Und so hielt sie sich jetzt an die Anweisung – sie unternahm nichts und fröstelte in der widerlichen Umarmung des trüben Aprilmorgens. Sogar Mussja, vor Nässe einem rötlichen Schrubber ähnlich geworden, war mißmutig. Sie legte die lange Schnauze auf die aufgeweichte Erde, bewegte traurig die weißlichen Brauen und jaulte sogar ein-, zweimal, womit sie die allgemeine Stimmung ausdrückte.
    Ljalin, ein gestandener Mann, verhielt sich den Launen der Natur gegenüber voller Verachtung und nahm das lange Warten gelassen hin. Er wußte, daß der Kollegienrat jetzt im Marienkrankenhaus war, wo der geschundene Körper des Gottesknechts Anissi, vor kurzem noch Sekretär Tulpow, gewaschen und hergerichtet wurde. Fandorin nahm Abschied von seinem geliebten Assistenten, bekreuzigte ihn und würde dann zum Friedhof gejagt kommen.

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